Der Dreissigjaehrige Krieg
Birghden sei »seiner widrigen Religion halben etwas parteiisch bei der Postabfertigung und Aussprengung der Zeitungen verdächtig«. Manche sehen darin den ersten Vorwurf der Meinungsmanipulation in der Geschichte der Presse. Im gleichen Brief verlangte der Erzkanzler die Ablösung aller Protestanten bei der Post; sie sollten durch loyale Katholiken ersetzt werden. Birghden konnte sich vorläufig halten, aber 1623 wurde er kurz festgenommen und 1627 dann tatsächlich seines Amtes enthoben. Nach Ansicht des Kaisers hatte Birghden in seiner Zeitung »viel unbegründete Sachen« verbreitet. Sein Nachfolger, der Brüsseler Postsekretär Gérard Vrints, trimmte die Postzeitung sogleich auf katholischen Kurs: Die Feldzüge des Kaisers wurden mit freudiger Anteilnahme geschildert und die Aktivitäten der Jesuiten mit viel Verständnis wiedergegeben. Birghden selbst wechselte später ins Lager der Schweden und baute dort ein leistungsfähiges Postnetz auf.
Zu dieser Zeit entstanden überall in Deutschland neue Zeitungen – offenbar wuchs die Käuferschar. 1618 gab es bereits 20 regelmäßige Nachrichtenblätter im deutschsprachigen Raum; am Ende des Krieges waren es dreimal so viele. Manche erschienen mehrmals in der Woche, vor allem solche, die an den Knotenpunkten des Postsystems lagen und häufiger neue Nachrichten erhielten.
Für das Ende des Dreißigjährigen Krieges rechnen Forscher mit bis zu 15.000 Zeitungsexemplaren, die jede Woche in den deutschen Gebieten erschienen. Zu ihren Lesern gehörten dabei nicht nur Fürstenhöfe und Beamte, sondern auch zahlreiche Privatleute. In der fränkischen Kleinstadt Kitzingen etwa leistete sich eine Gesellschaft von 15 Personen erst die lokale Postzeitung, später dann die »Frankfurter Ordinari Zeitung«; andernorts gehörten Studenten zu den Abonnenten. Der mitten im Dreißigjährigen Krieg geborene Gelehrte Kaspar Stieler rümpfte später die Nase darüber, wer alles bereits Zeitungen las und meinte, mitreden zu können: »Sitzen doch Lackeyen Stallknecht Kalfacter Gärtner und Torhüter beysammen und halten ihr Gespräch aus den Avisen … Also dass sie oft stölzer als der Bürgermeister der Stadt seyn weil sie sich weit mehr als er in Staatssachen zu wissen und erfahren zu haben einbilden.«
Nachdem die Truppen des Schwedenkönigs Gustav Adolf in Frankfurt einmarschiert waren, konnte Birghden in sein Amt als Postmeister zurückkehren. Neben die Nachrichten aus den traditionellen Postorten Rom, Venedig und Wien traten jetzt auch innerdeutsche Neuigkeiten aus Hamburg, Ulm, Regensburg oder Speyer und Berichte aus dem schwedischen Feldlager. Je länger der Krieg dauerte, desto parteiischer wurde auch die Postzeitung. Nach der Rückkehr Birghdens vertrat sie in Nachrichtenwahl und Perspektive einen klar antikatholischen Kurs. Gustav Adolf wurde als Schutzherr gefeiert, die Truppen Tillys »Feind« genannt und sogar eine Falschmeldung über Wallensteins Tod gebracht, wohl um den »Feind« zu verwirren. Die Presse war zum Instrument der Kriegführung geworden. Nach der dramatischen Schlacht bei Lützen im Jahr 1632 wurde die gewohnte Anordnung des Blattes sogar zugunsten einer Sondernummer umgeworfen.
1635 empört sich der Mainzer Erzkanzler in einem Brief an Kaiser Ferdinand II., Birghden habe damit geprahlt, dass er mit seiner Zeitung dem Schwedenkönig größere Dienste geleistet hätte, als wenn er ihn mit mehreren Regimentern unterstützt hätte. Zumindest die Herrschenden erkannten den zunehmenden Einfluss der neu entstandenen Presse auf die öffentliche Meinung. Für den Historiker Wolfgang Behringer ist der Dreißigjährige Krieg daher auch ein »Medienkrieg« gewesen: Information und Desinformation wurden auf neue Art verbreitet, und »der explosionsartige Anstieg der Zeitungs- und Auflagenzahlen, der alle Anzeichen einer Medienrevolution trägt, hat wesentlich dazu beigetragen, binnen einer Generation das Bild der Welt zu verändern«.
TOTENTANZ AM LECH
Stadtleben in wirrer Zeit:
Für die Bewohner Augsburgs lagen Hunger und Siegesfreude,
Dämonenglaube und Seuchen nah beieinander.
Von
Bernd Roeck
W ährend bei Rocroi Frankreichs Artillerie die glorreiche spanische Flandernarmee niedermähte und von Böhmen aus Truppen der Krone Schwedens gegen den König von Dänemark in Marsch gesetzt wurden, wiegte man sich in Augsburg, tief im Süden Deutschlands, in Sicherheit. »Im politischen Wesen haben wir Ruhe und Frieden in unserer Stadt gehabt«, notierte der
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