Der dreizehnte Apostel
Küssen und Segenssprüchen für meine ganze Familie überschüttete.
Schließlich sagte er zu mir: »Bist du zu dem Schluss gekommen, daß dein Rabbi kein Gottgesandter war? Willst du nach Jawneh gehen und bei den Pharisäern um gut Wetter bitten? Ich könnte das arrangieren!« Ich sagte, daß meine Liebe zum Herrn stark sei, daß ich aber in all den Jahren, die ich nun schon auf der Suche durch die Welt wanderte, noch nirgends eine Gemeinde gefunden hätte, die Seine wahre Lehre gänzlich beherzigte, noch einen Seiner Jünger, den ich als Seinen würdigen Erben anerkennen könne.
29.
Waswasah sagte zu mir: »Für dich und dein Volk wäre es das Beste , eure Messiasse zu vergessen, ehe die Römer euch vollends ausrotten. Ich habe oft an dich gedacht, lieber Matthias, mit Traurigkeit, denn ich nahm an, daß während der Belagerung auch du umgekommen seist.«
Mit dem feurigen Temperament der arabischen Rasse gab er sich den Anschein, vor lauter Freude über unser Wiedersehen in Tränen ausbrechen zu wollen. Doch meine ich jetzt, daß er überglücklich wohl vor allem war in der Hoffnung, mir, wie früher schon so oft, für gutes Geld zu Diensten sein zu können. Ich erklärte ihm, daß ich nun ein armer Hauslehrer sei und mir mithin seine Dienste nicht mehr leisten könne. Er fragte: »Und was ist mit deinem Landgut?«
»Während des Krieges von den Römern gebrandschatzt«, sagte ich, »zudem jetzt auch meinem berühmten Bruder überschrieben, dem General.«
»Ah, der Verräter«, sagte Duldul ibn-Waswasah zu mir. (Ich lasse das so hinschreiben, wie der Araber es tatsächlich gesagt hat.)
30.
Ich sagte zu Waswasah, daß ich noch immer bemüht sei, alles die letzten Tage des Meisters Betreffende in Erfahrung zu bringen. Ob er meine, daß ich einen der römischen Soldaten sprechen könne, die damals sein Grab bewachten. Der Sabäer sagte zu mir: »Mein Freund, diese Wachen, die deinen Meister entfliehen ließen, wurden wenig später selber gekreuzigt! Aber selbst wenn sie der Kreuzigung entgangen wären, wären sie ja längst auf andere Weise gestorben, die Sache ist doch schon viele Jahrzehnte her!« Dann überraschte Waswasah mich mit der Erklärung: »Ich habe dich allerdings in der Vergangenheit ausgenützt, und das weißt du sehr wohl. Solange du Geld hattest, habe ich dich kreuz und quer durch die bewohnte Welt reisen lassen und, da ich dir stets bei den Reisevorbereitungen behilflich sein durfte, an diesen Reisen eine Menge Geld verdient. Nun aber, da bei dir nichts mehr zu holen ist, werde ich dir
die Wahrheit gebührenfrei und gratis enthüllen. Der Leichnam deines Meisters wurde, wie die Juden die Geschichte erzählen, aus einer Gruft bei der Schädelstätte entwendet.«
31.
Ich gab zu, so gehe allerdings die verleumderische Rede. Er sagte zu mir: »Und wenn es Beweise gäbe?« Ich würde keinen Haufen alter Knochen, nicht einmal eine überzeugend präsentierte Kleidersammlung als Beweis gel ten lassen. Solche angeblichen Beweise liefert man für die Wunder jedes Möchtegern-Propheten. Ganz abgesehen von den Gräueln der Sammlung Jakobus’, des Sohnes des Alphäus, habe ich mit eigenen Augen schon den Federkiel Jesajahs, den Stab Mose und einst, auf einem Markt in Idumäa, sogar, was doch wirklich der Gipfel ist, den Hirnschädel Elias’ anzustaunen Gelegenheit gehabt.17
32.
Waswasah sagte zu mir: »Joseph von Arimathia bat nach der Kreuzigung den Sanhedrin um den Leichnam deines Meisters, nicht wahr? Ich habe Joseph sehr gut gekannt, wir waren Geschäftsfreunde, hat er doch mit Gewürzen gehandelt. Er hat mir gesagt, daß er damit rechnete, daß himmlische Heerscharen erscheinen würden, den Leichnam vom Kreuz abzunehmen. Wusstest du, daß es viele Vorzeichen gab an dem Abend, an dem dein Meister starb? O ja! Ein Erdbeben drohte Böses an, und vor dem
Tempel kalbte eine Kuh ein Lamm, und andere dergleichen Sachen sah man.«
Wo sind dergleichen Sachen nicht zu sehen?
33.
Waswasah referierte nun die beliebte, auch von der Schule Schammais, von Gamaliel dem Jüngeren und anderen nachgebetete Lügengeschichte: »Joseph ließ den römischen Wachen ein Abendessen schicken mit Wein, dem ein Schlafmittel beigemischt war.«
Mein Gastgeber lehnte sich zu mir herüber, obwohl niemand da war, der ihn hätte belauschen können. »Aber jetzt kommt eine Information, die einen Historiker, einen großen Gelehrten wie dich, notwendig interessieren muss . Joseph befahl seinen beiden
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