Der dreizehnte Apostel
Sklaven, den Leichnam aus dem Grab zu holen, und das taten sie.« Dann fragte Waswasah mich: »Hast du, mein Freund, deinen Meister nach der Rückkehr aus dem Hades mit eigenen Augen gesehen?«
»Nein«, erwiderte ich, »aber viele Jünger, mit denen ich gesprochen habe, verbürgen sich dafür. Johannes und Jakobus bar-Alphäus.« Doch schon während ich diese Antwort gab, beunruhigte mich der Gedanke, daß ich von der Zuverlässigkeit dieser Zeugen viel zu halten eigentlich keine Ursache habe.
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»Ich glaube, so ganz überzeugen sie dich nicht«, sagte mein Gastgeber. »Du hättest sonst deine Nachforschungen nicht mit solchem Eifer betrieben. Ich erspare dir nun eine Menge weiterer Arbeit und sage dir, wie die Sache sich wirklich verhält: Die Sklaven, die den Leichnam deines Meisters aus dem Grab stahlen, brachten diese Reliquie zur sicheren Aufbewahrung nach Ägypten. Und sie ist noch hier! Die komplette Reliquie, ich meine, alle Knochen des jüdischen Messias.«
»Und ich nehme an«, sagte ich, meinen gelehrten Sarkasmus entfaltend, »daß du vorhast, mir einen Haufen alter Hundeknochen vorzuführen und so doch noch zu einem saftigen Honorar für geleistete Dienste zu kommen!«
Das nahm Waswasah aber sehr übel, und eine Menge Schmeicheleien waren vonnöten, ehe er mir die unbedachte Bemerkung verzieh. Dann sagte er: »Ich versuche nur, dir weitere Mühen und Sorgen zu ersparen. Und wie lohnst du mir diese Freundlichkeit?«
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Ich sagte, daß seiner Erzählung eine gewisse Unwahrscheinlichkeit doch nicht abzusprechen sei. Wenn die-se Sklaven Josephs von Arimathia eine solche Reliquie tatsächlich besäßen und wirklich ein derartiges Geheimnis verraten könnten, wäre doch wohl zu erwarten, daß sie reichen Nutzen daraus zögen. Wären doch die Pharisäer und die Römer gleichermaßen willens, für einen derartigen Beweis der endgültigen Sterblichkeit des Meisters ein schönes Stück Geld zu bezahlen.
Waswasah sagte zu mir: »Du bist recht klug. Die Sklaven sind so reich geworden, wie du’s erwartet hast! Den Namen des einen habe ich vergessen, aber egal, ich bin ganz sicher, daß er tot ist. Aber der andere, Benjamin, lebt in Elephantine, von Joseph reich dafür belohnt, das Geheimnis verborgen zu halten. Ich hatte mit Benjamin früher manchmal geschäftlich zu tun, musst du wissen, er ließ mir das Salz seines Herrn immer zu einem guten Preis; jetzt ist er selbständig und soll reicher sein als irgendwer sonst in Elephantine. Wie kommt ein ehemaliger Sklave an ein solches Vermögen, frage ich dich. Und wie verschwinden normalerweise sterbliche Überreste aus Gräbern? Ich überlasse es dir, dem gelehrten Historiker, die Antwort auf diese Fragen zu finden.« Weiter sagte er zu mir: »Benjamin war ein Bithynier. Weshalb hätte er sein Glück ausgerechnet in Elephantine versuchen sollen, wo niemand seine Sprache versteht und nicht einmal mit Griechisch viel anzufangen ist? Vielleicht war das die Bedingung seiner Befreiung, daß er sich da unten versteckt, meinst du nicht? Daß er sich da unten versteckt mit den Reliquien deines Meisters, von denen ich Gerüchte gehört habe. Und zwar geradezu schauerliche und grausige Gerüchte, ihre Natur betreffend.«
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Ich behauptete, Waswasah wäre gut beraten, weniger auf Gerüchte und Fabeleien zu geben. »Was könnte dabei herauskommen«, sagte ich schließlich, »wenn ich diesen Gerüchten nach Elephantine folgte? Ein Haufen alter Knochen würde für mich jedenfalls nicht schwerer wiegen als das Zeugnis Dutzender von Leuten, die den von den Toten zurückgekehrten Meister mit eigenen Augen sahen.« Daß die Berichte dieser Augenzeugen ziemlich widersprüchlich und unklar waren, behielt ich für mich.
Er sagte zu mir: »Was würdest du sagen, wenn ich dir verriete, daß diese Reliquie kein Haufen alter Knochen, sondern der unverweste Leichnam deines Meisters ist, eine Mumie, wie man sie hierzulande macht?« Solche Greuel! Keine Sitte ist so barbarisch, so unrein und so gegen Gottes Gebot wie das Einbalsamieren von Leichen! Und ausgerechnet an dem Leichnam des Meisters sollte diese abscheuliche Sünde begangen worden sein? Er sagte zu mir: »Ach, aber so verhält sich’s. Es war, einem umfassenden Plan entsprechend, vorgesehen, euren Meister aus einiger Entfernung einer Menschenmenge zu zeigen und mit seiner unverwesten Leiche seine Auferstehung von den Toten zu demonstrieren. Doch dann haben sich die Nazaräer ihre Auferstehung ja auch
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