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Der dreizehnte Apostel

Der dreizehnte Apostel

Titel: Der dreizehnte Apostel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilton Barnhardt
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Metzrich.«
    Die Namen sagten Lucy überhaupt nichts, aber sie lächelte, als wären sie ihr geläufig.
    »Es war während des Wochenfests, und jeder war von innen her gewärmt, all die Schüler und Rabbis, die Speise und Trank genossen – ich kann Ihnen versichern, den Chassidim war das Trinken nicht fremd. Elimelech dachte: Ah, was für ein wundervolles Fest, was für ein Glück! Da stand ein unbesonnener Schüler auf und sagte: ›O Rabbi, alles ist fast vollkommen. Wenn wir nur den Wein des Lebens hätten, der im Paradies getrunken wird.‹
    Rabbi Elimelech dachte ein wenig nach und sagte dann: ›In Ordnung, Junge. Ich sende dich aus, um den Wein des Lebens zu holen. Nimm zwei Eimer und eine Tragstange, hänge die Eimer daran und geh an diesem stürmischen Abend hinaus auf den Friedhof. Geh genau zur Mitte des Totenackers und sage: Seid gegrüßt, ihr Geister, Elimelech hat mich ausgesandt nach dem Wein des Lebens. Dann werden die Geister deine Eimer füllen, auch wenn der Wein vielleicht unsichtbar ist. Auf jeden Fall kommst du dann wieder zurück, und pass auf, daß du keinen Tropfen verschüttest! Der junge Mann tut, wie ihm geheißen. Und der Wind bläst, und er spürt, wie ihm ein kalter Schauer über den Rücken fährt. Er hört die Stimmen der lange schon Verstorbenen; sie stöhnen und sagen zu ihm: ›Gib uns einen Tropfen von dem Wein, wir sind so durstig …‹ Und der Junge beginnt zu laufen! Während er versucht, die Eimer gerade zu halten, spürt er die Hand der Geister auf sich, er glaubt sein Herz berührt von eisigen Fingern. Von allen Seiten trägt ihm der Wind das Stöhnen der Toten an die Ohren! Er stolpert und fällt, dabei zerbricht die Trag stange ; er stolpert über die Eimer und tut sich weh. Zu Tode verängstigt rennt er in den Festsaal hinein und schlägt die Tür fest hinter sich zu.
    Und Rabbi Elimelech sieht den jungen Mann an und sagt: ›Setz dich, du Narr!‹«
    Das war die Geschichte.
    Lucy holte tief Luft und riskierte eine Deutung: »Es bedeutet … Ich glaube, Rabbi Elimelech hat seinen Schüler nach dem Wein des Lebens auf den Friedhof gesandt, weil er wusste , daß er von Gespenstern heimgesucht werden und sich selbst im Dunkeln mit der Vorstellung von Geistern und Gräbern und Tod Angst einjagen würde. Und dabei lernte der Schüler, daß Gräber und Dunkelheit und Tod auf jedermann warten … und daß die Rückkehr an die Tafel, in die Wärme und das Licht, zu Essen und Trinken und Gemeinschaft mit anderen Männern, die Gott lieben – daß dies das größte Vergnügen ist, der Wein des Lebens, den man im Paradies trinkt.«
    Der Rabbi verneigte sich. »Und ist es nicht wahr?« Es war ein Fehler, aber der Rabbi bestellte noch eine letzte Karaffe Wein. Das Zusammentreffen der Impfstoffe mit zuviel Wein bewirkte, daß sich alles um Lucy drehte. Sie musste von den beiden älteren Männern zwischen den Tischen und Stühlen hindurchgelotst werden. »Bringen Sie mich nach Hause«, bat sie inständig, brachte aber immer noch ein Lächeln zustande.
    »Taxi!« rief O’Hanrahan und lachte über seinen eigenen Witz – kein Auto konnte auf den Hurva-Platz oder durch irgendeine der schmalen Gassen in der Altstadt fahren. Das bedeutete, daß sie wieder den mühseligen Weg über diese verdammten Treppen der Davidstraße vor sich hatten. Als sie unterwegs waren, stellte sich heraus, daß O’Hanrahan noch mehr hinüber war als Lucy – er konnte keine gerade Linie mehr gehen. »Zum Teufel, wieso ist er auf einmal so weggetreten?« knurrte Rabbi Hersch und hatte Mühe, O’Hanrahan zusammen mit Lucy zu stützen.
    »Vor einer Minute war er noch hellwach«, sagte Lucy, die den anderen Arm des Professors hielt. Zu dritt stolperten sie die Marktstraße hinab. Wenn die Nacht hereingebrochen ist, wird die Altstadt wieder zu einem verschlafenen Dorf; die Bewohner gehen früh zu Bett, weil viele bereits im Morgengrauen aufstehen, um ihre Marktstände aufzubauen oder zum frühmorgendlichen Gottesdienst zu gehen. Die Straßen liegen verlassen und ein wenig unheimlich da.
    »Ist das die Via Dolorosa?« fragte O’Hanrahan, der einen Orientierungspunkt erkannte.
    »Setze einfach immer einen Fuß vor den anderen, dann den nächsten …«, mahnte der Rabbi.
    O’Hanrahan riss sich los von seinen beiden Stützen: »Unsere Liebe Frau von den Zuckungen!«
    »Wir sind fast den Berg hinauf, gleich haben wir’s«, seufzte Rabbi Hersch. »Die Station der Betrunkenen! Hoppla …«
    (O’Hanrahan fällt zum

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