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Der dreizehnte Apostel

Der dreizehnte Apostel

Titel: Der dreizehnte Apostel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilton Barnhardt
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O’Hanrahan sah angeschlagen und übernächtigt aus und lehnte ab, als der Frühstückskellner ihm den Champagner-Orangensaft-Cocktail offerierte, der an diesem Morgen das spezielle Angebot war.
    »Nein«, seufzte er resigniert. »Heute ist ein Arbeitstag, nicht wahr, Schwester Lucy?«
    »Jawohl, Sir«, erwiderte Lucy, die wie durch ein Wunder keine üblen Nachwirkungen des letzten Abends spürte. Die angeborene irische Zähigkeit muss wohl dazu beitragen, dachte sie. Ich bin doch die kleine Tochter meines Vaters. Gierig verschlang sie eine große Portion saftiger Früchte des Nahen Ostens, ein Schüsselchen Joghurt mit einer Art von Kleie darauf und ein hartes Kleiebrötchen ohne Butter.
    »Sehr gesundheitsbewußt heute Morgen , sehe ich«, knurrte O’Hanrahan.
    »Sie haben da einen Teller Cholesterin pur«, sagte Lucy und deutete kurz mit dem Löffel auf seine Eier mit Würstchen. »Ich wollte Ihnen gestern den ganzen Tag sagen, daß Gabriel noch einmal da war. Er will Frieden mit Ihnen schließen.«
    »Da hat er herzlich wenig Aussicht.«
    »Er will wieder einmal aus dem Franziskanerorden austreten.« O’Hanrahan schnaubte. »Dieser Junge erinnert mich an meinen eigenen Sohn.«
    Lucy spitzte die Ohren; zum erstenmal spielte er auf seine unglückliche Familie an.
    »Rudy war genauso. Hat dreimal das Hauptfach gewechselt – jedesmal kam er mit etwas daher, das noch schlimmer war als das zuvor. Soziologie, Politologie, so Zeugs.«
    O’Hanrahan verstummte wieder, und es entstand ein unangenehmes Schweigen. Endlich sagte er: »Wir treffen uns heute Nachmittag mit Rabbi Hersch am Damaskustor, nicht wahr?« Er versuchte sich zu erinnern, wie sie gestern Abend verblieben waren. Ach ja, richtig: Rabbi Hersch hatte tatsächlich gedroht, Pater Beaufoix in die Sache hineinzuziehen. O’Hanrahan hatte es genau gehört, während er sich auf der Heimfahrt im Taxi gestellt hatte, als sei er hinüber. »Haben Sie sich schon die Sch riftrollen vom Toten Meer ange sehen?«
    »Nein, Sir, ich war noch nicht dort.«
    »Mein größtes Ruhmesblatt, und Sie haben noch nicht die Zeit gefunden, ihm seine Reverenz zu erweisen?« Er fühlte sich innerlich leer – sein größter Triumph lag fast ein halbes Jahrhundert zurück. Pater Beaufoix’ neues Buch würde diese Woche in die Buchhandlungen kommen …
    Beaufoix und Elaine Pageis, die tatsächlich Bestseller schrieben und ein Vermögen an diesem Stoff verdienten, den O’Hanrahan auf Anhieb auswendig wusste ! »Nach dem Museumsbesuch«, fügte er hinzu, »sollen Sie in der Universität bei Mordechai vorbeischauen, hat er gesagt.«

Das war das letzte, worauf sie Lust hatte. Sie und der Rabbi allein.
    Worüber sollten sie reden ohne O’Hanrahan als Vermittler?
    »Nein, ich befehle Ihnen hinzugehen«, fuhr er fort. »Ich habe das Gefühl, wir brauchen da eine Art Scha denskontrolle . Und obwohl ich ein enger Freund bin, habe ich das Gefühl, daß Morey nur zu gerne jemand anderen hinzuziehen würde, der uns ersetzt.«
    Richtig, dachte Lucy, Pater Beaufoix, der schon auf Abruf bereitsteht und sich die Krallen wetzt, um diesen Fang zu erwischen. Unglücklich stellte sie fest, daß sich ein realistischeres Bild O’Hanrahans in ihr zu formen begann: O’Hanrahan, der Fast-Kandidat, der viel redete, aber wen ig tat, der geliebte, aber trau rigerweise entbehrliche Gelehrte, der keine eigenen Bücher auf dem Regal stehen hatte, keinen Eintrag im Gelehrtenregister.
    Sie wäre glücklicher gewesen, ihn weiterhin als unverletzlich und titanisch zu sehen. Aber das, schätzte sie, ist der Preis dafür, wenn man seinen Idolen näher kommt.
    »Ich habe dem Rabbi versprochen«, sagte sie schließlich, »daß ich Sie dazu bringen werde, heute dem Alkohol abzuschwören. Absolut kein Alkohol. Versprechen Sie es?«
    »Keine Sorge«, brummte er und befühlte seinen Kopf.
    Misstrauisch fragte Lucy, was er heute vorhabe.
    »Ich werde einen wichtigen Mann in der Geschichte dieses Evangeliums aufsuchen. Mustafa al-Waswasah.«
    »Wer ist das?«
    »Er ist einer der verschlagensten alten Teufel, die ich je kennengelernt habe. Er hat für ein Heidengeld eine Reihe von Fragmenten der Qumran-Rollen an Israel verkauft – er lebt heute noch davon. Im Hotel El-Khodz in Ostjerusalem hat er eines dieser piekfeinen Geschäfte in der Hotelhalle, wo er ordinäre Messingmünzen, die er einen Monat lang in Urin gelegt
    hat, als sagenhafte antike Münzen verscherbeln kann.«
    »Urin?«
    »Er hat mir dieses Mittel verraten,

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