Der dreizehnte Apostel
durch Italien gefolgt ist und vermutlich auch hierher nach Jerusalem.«
»Nein, er ist nicht von mir geschickt«, erwiderte Kellner enttäuscht. »Oh, ich hoffe, daß nicht allzu viele Leute hinter dieser Schriftrolle her sind.« O’Hanrahan machte sich ein Vergnügen daraus, den anderen zu quälen. »Sehr viele, Sir. Es g ibt einen fa natischen orthodoxen Frater, der jeden unserer Schachzüge verfolgt und die Absicht hat, dieses blasphemische Dokument zu vernichten.«
Kellner suchte in seiner Tasche nach einem Mittel gegen Sodbrennen. »Nein, Sie dürfen mir nicht solche Sachen erzählen … Vielleicht sollte ich Sie begleiten? Zwei kluge Köpfe sind besser als einer, glauben Sie nicht?«
»Verstehen Sie das Meroïtische?« fragte O’Hanrahan, um dann in fünf Minuten ein ganzes Jahrhundert vergeblicher Bemühungen, das ihnen beiden vorausgegangen war, zusammenzufassen.
»Eine verlorene Sprache ist ein Rückschlag, das muss ich zugeben«, seufzte Kellner, der nun endlich das verschreibungspflichtige Medikament in seiner Tasche gefunden hatte.
O’Hanrahan verbarg kaum seine Belustigung. »Sir, ich besitze diese Schriftrolle immer noch nicht, trotz allem, was Sie vielleicht gehört haben. Ich habe vor, in das Wadi Natrun in der Nähe von Kairo zu reisen und die Nationalbibliothek in Khartum aufzusuchen. Muslimische Länder, mein Herr …«
Kellners Unterlippe hing herab, als gehöre er zur Dynastie der Habsburger. »Ja«, nickte er trauervoll, »wo diese Barbaren den Genuss von Wein verbieten.
Diese Wüstengebiete!« Er steckte ein paar Tabletten in den Mund und spülte sie mit Wein hinunter. »Sie haben keine Vorstellung, wie sehr mich meine Dummheit schmerzt, Herr O’Hanrahan. Ich schlafe entsetzlich schlecht und schrecke hoch aus Träumen, in denen ich mich selbst lächerlich mache. Ich habe sogar meinen Appetit verloren.« O’Hanrahan stellte sich diese besondere Härte für seinen Gastgeber vor. »Aber ich bin tapfer. Ich werde mit dabeisein, wenn Sie in diesem Kloster – wo sagten Sie, in Kairo? – forschen. In Kairo gibt es viele gute Hotels.«
O’Hanrahan hatte offenbar noch kein genügend abschreckendes Bild gezeichnet. »Als Pilger darf man nur in den Höhlen der Libyschen Wüste schlafen. Und Khartum, Herr Kellner? Die Härten der Dritten Welt?« Der Deutsche öffnete sein Medizinfläschchen. »Ach, vielleicht muss ich das Reisen doch Ihnen überlassen«, gab er nach und änderte den Kurs. »Dann wollen wir das Thema Geld anschneiden. Was glauben Sie, wieviel würde das Matthäusevangelium bei einer offenen Auktion einbringen? Und wieviel höher ist der Preis, wenn man private Sammler wie mich ins Auge fasst ?«
»Sagen Sie mir«, fragte O’Hanrahan, »welches mögliche Vergnügen kann es Ihnen verschaffen, dieses Relikt einfach zu besitzen? Es sollte öffentlich ausgestellt sein, von Gelehrten studiert werden, in ein Museum gebracht werden. Welchen Genuss bedeutet es Ihnen, wenn es in einem Behälter in Ihrer Bibliothek verstaubt? Bestimmt wollen Sie das Evangelium nicht nur deshalb haben, weil Matthias Ihr Namensvetter ist.«
»Nun ja, darin liegt ein kleiner Teil meines Interesses. Vor fünfundvierzig Jahren wurde ich in der St.Matthias-Kirche auf den Namen Matthias getauft.«
O’Hanrahan war erstaunt darüber, wie jugendlich und rotbackig das Gesicht des Mannes für sein Alter war – wenn die Angaben stimmten. Irgendwie hatte sein Fett ihn gut erhalten.
»Ja, ich habe die Absicht, es in einem Museum auszustellen. Diese Schriftrolle ist das erste Relikt des Heiligen Römischen Reiches – vielleicht der ganzen Christenheit. Aber ich erzähle Ihnen, was Sie schon wissen.«
»Nein«, widersprach der Professor, der möglichst alles erfahren wollte, was der andere wusste .
»Gehen wir zurück in die Zeit des Kaisers Konstantin, das 4. Jahrhundert. Trier war die nördlichste Hauptstadt im Römischen Reich, eine antike Stadt, von der es heute noch einige Überreste gibt, die über 1600 Jahre hin weder von den Hunnen noch von amerikanischen Luftangriffen völlig zerstört wurden.« O’Hanrahan fragte sich, ob die deutliche Sprechpause ihm Gelegenheit geben sollte, sich für die Rolle der USA im Zweiten Weltkrieg zu entschuldigen.
»Konstantin besaß zahlreiche Reliquien der Apostel, in der Tat alle, die er haben wollte. Aber die einzige Reliquie eines Apostels, die er in den Norden brachte, war die des obskuren St. Matthias, des dreizehnten Apostels. Konstantins eigener Bibliothekar,
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