Der dreizehnte Apostel
dann das Messer in den Rücken. Möchten Sie Kaffee?«
»Nein, ich habe heute Morgen schon zuviel Tee getrunken. Nein, danke.«
Er sah in seinen Schränken nach. »Es ist auch gar kein Kaffee da, das trifft sich also ganz gut. Alten jüdischen Wein hätte ich anzubieten. Manischewitz. Wahrscheinlich mittlerweile zu Essig geworden. Ich werde ihn Paddy geben. Dies hier ist ein bewaffnetes Lager«, wechselte er dann ohne Vorwarnung das Thema. »Nicht überall hört man nachts Maschinen gewehrfeuer , dreht sich um und schläft weiter. Nett funktioniert hier nicht, nicht mit unserer Geschichte … die bald enden wird, wenn es nach den idiotischen alten Terroristen geht, die dieses Land lenken.«
»Sie mögen Shamir nicht?«
»Zu alt. Zu alt, so wie ich, zu kompromisslos . Juden sind die besten Diplomaten der Welt, nicht wahr? Disraeli, Kissinger – aber für Israel haben wir nur Krethi und Plethi, die mit niemandem sprechen wollen, der je mit jemandem gesprochen hat, der jemanden kennt, der ein Terrorist war. So redet dieser Shamir daher! Sprengt das Hotel König David in die Luft, fünfzig Engländer kommen dabei um, ein Mitglied der jüdischen rechtsradika len Untergrundbe wegung Irgun – und will nicht mit Terroristen reden. Aber wohlgemerkt«, fügte der Rabbi hinzu, »die Palästinenser haben mehr ihrer eigenen Leute umgebracht als die israelische Armee. Und jetzt, wo Yassir Arafat zuerst dem Papst und dann Saddam Hussein Küsschen gibt – wie sollen da noch Friedensgespräche zwischen Israel und der PLO stattfinden?«
Der Rabbi seufzte resigniert und strich sich über den Bart. »Palästinenserhäuser niederwalzen, die Menschen in Lager stecken, im Libanon einmarschieren, die US-Botschaft bespitzeln, zur Hauptsendezeit einen Haufen steinewerfender Jungen zusammenschießen, Waffen an den Iran verkaufen, Siedler ins christliche Viertel stecken, die USA und die amerikanischen Juden vor den Kopf stoßen, Freundschaften mit Typen wie Mengistu und Pieter Botha knüpfen – was haben wir unter diesen Clowns richtig gemacht? Mittlerweile schießt die Inflation himmelhoch, die Wirtschaft ist ein Scherbenhaufen, Tausende von Immigranten kommen herein, als wären wir Ellis Island und würden im Geld schwimmen. Ich als Produkt einer viertausend Jahre alten Kultur … ich kann nur sagen: o weh.«
»Dann muss es doch ein wenig tröstlich sein zu se hen, wie fest die USA hinter Israel stehen.«
»Hey, ich zähle die Tage. Eure Regierung kann auch nicht mit Billionen von Dollars um sich werfen; die drei Milliarden Dollar an Israel werden also ganz schnell futsch sein, wenn ihr eine Wirtschaftskrise habt. Ihr habt eine Menge von schv arzes , die an ihrer Sozialhilfe hängen und erkannt haben, daß sie mehr bekommen würden, wenn Israel nichts bekäme. Jedesmal wenn ein schwarzer Politiker aufsteigt, ist er gegen Israel eingestellt und antijüdisch; von Judenstadt ist die Rede, nicht wahr? Um Himmels willen, es waren eine Menge Juden, die in den sechziger Jahren nach Mississippi und Alabama gegangen sind und sich die Köpfe haben einschlagen lassen, weil sie für das Wahlrecht der Schwarzen eingetreten sind. Re-den wir noch mal von Undankbarkeit, ja?«
»Es wird nicht besser, wenn Sie sie schvarzes nennen.«
»Was?« fragte er achselzuckend.
»Das ist die jüdische Art, Nigger zu sagen.«
Der Rabbi überlegte. »Nein, ist es nicht. Okay, ich werde das Wort nicht mehr gebrauchen. Zumindest nicht in Ihrer Anwesenheit.«
»Ich glaube, das Ressentiment der Schwarzen hat etwas zu tun mit dem Bild, das Hollywood – und das war in der Hand von Juden – über sie verbreitet hat, und mit der Schallplattenindustrie, die noch in der Hand von Juden ist, und außerdem verkauft Israel Waffen an Südafrika …«
»Heiliger Jesus Christus! Verstehen Sie, wie Antisemitismus funktioniert, kleines Mädchen? Er hat immer einen Grund, einen ausgezeichneten, einwandfreien Grund, der völlig rational klingt – jüdische Finanzverschwörungen, Juden und Freimaurer; man bringt Juden um, weil sie Komplotte für den Kommunismus schmieden, die Sowjets bringen Juden um, weil sie Komplotte gegen den Kommunismus schmieden … Zuerst kommt der Hass , dann die rationale Begründung.« Wieder wechselte er das Thema: »Wie geht es mit der Übersetzung voran?«
»Ich habe das zweite Kapitel des Evangeliums in lateinische Buchstaben übertragen, aber bisher ergibt alles nur Unsinn.« Sie seufzte. »Man kann das Evangelium doch entziffern, oder? Sie
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