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Der dreizehnte Apostel

Der dreizehnte Apostel

Titel: Der dreizehnte Apostel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilton Barnhardt
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machte beschwingt auf dem Absatz kehrt, und fort war er.
    (Nun, Patrick?)
    »Ich hätte gerne eine halbe Million Dollar«, sagte O’Hanrahan laut zu sich selbst.
    YYY
     
    Lucy und der Rabbi gingen eine Straße im ruhigen Viertel am Rand von Mahane Yehude entlang, wo der Rabbi wohnte.
    »Ich dachte, daß Sie mich nicht besonders mögen«, sagte Lucy. »Sie schienen immer nur zu wollen, daß ich nach Hause fliege …«
    »Nichts Persönliches«, erwiderte er achselzuckend. »Jedesmal wenn Paddy einen Assistenten hatte, folgte eine Katastrophe. Trotzdem braucht Paddy jemanden, der auf ihn aufpasst , und mit Ihnen wird’s schon gehen.«
    Er stupste sie an. »Hier ist unsere Straße.«
    Lucy fühlte sich leicht schwindlig, weil sie an einen fremden Ort kommen und eine authentische Erfahrung machen würde – ein höherer Touristenhimmel als bei einer organisierten Busreise. Der Rabbi kannte sein Viertel offensichtlich gut; er winkte einer stämmigen Frau zu und wechselte einen Gruß mit ihr, winkte einem Ladenbesitzer und wechselte einen Segenswunsch mit ihm. Ein Chassid mit einem wild zugeschnittenen Pelzhut kam vorbei, sie grüßten einander mit Schalom und wechselten ein paar Worte auf Jiddisch .
    »Sie kennen jeden«, bemerkte Lucy, als sie vor seiner Tür standen. Rabbi Hersch wühlte tief in seinen Taschen zwischen Kleingeld, Schlüsseln und anderen Siebensachen herum. »Wenn man Kleingeld will, hat man die Schlüssel in der Hand, und wenn man die Schlüssel will, erwischt man das Kleingeld«, brummte er. »Hier«, sagte er und bat Lucy, siebzehn Schekel münzen für ihn zu halten. »Seit Jahren hat diese Tasche ein Loch, seit Jahren.«
    »Ich sehe es«, meinte Lucy.
    »So? Gutes Mädchen«, räumte er ein. »Eine Stadt voller Schneider«, fügte er hinzu, als er endlich die Schlüssel fand und seine Tür aufsperrte, »und ich finde nicht die Zeit, zu einem zu gehen.«
    Lucy betrat die Dreizimmerwohnung des Rabbi; ein großes Wohnzimmer samt Bibliothek, das in eine Essecke überging; eine Küche, hinter der ein kleiner Garten lag, und seitlich ein Schlafzimmer. Um die Regale und den Schreibtisch herum war es ordentlich, aber über jedem Sofaarm lagen aufgeschlagene Bücher. Ein kleiner Bücherstapel mit einem halben Dutzend eingemerkten Lesezeichen lag auf dem Sessel, der am bequemsten aussah. Die Einrichtung war schlicht. Auf dem Sofa lagen orientalisch gemusterte Decken und auf dem Boden ein Orientteppich, und an der Wand hing ein Wandteppich; auf dem Bücherregal stand ein siebenarmiger Kerzenleuchter, daneben eine Reihe alter Schwarzweißfotografien von Verwandten, die aus der verlorenen Schtetl-Welt blickten, mit langen Bärten und Kopftüchern, wie man sie Anfang des 20. Jahrhunderts getragen hatte.
    »Überall Bücher«, knurrte er und nahm den Stapel aufgeschlagener Bücher vom Sessel. »Hier könnt ihr bleiben«, sagte er zu ihnen und legte sie aufs Sofa. »Die Zugehfrau war da, Fatima.«
    »Eine Araberin?«
    »Ja.«
    »Haben Sie keine Angst, daß sie eine Bombe legen könnte?«
    Er sah sie an, als sei sie ein hoffnungsloser Fall – nein, sie würde das Leben in Israel nie verstehen. Aber dann wurde sein Blick nachsichtig. »Nein, ich habe keine Angst«, antwortete er einfach. »Hier ist das verdammte Sandelholz …« Der Rabbi nahm einen geflochtenen, tellerförmigen Korb voller aromatischer Blätter, Rosenblütenblätter, Sandelholz und Zimtrinde. »Jeden Montag bringt sie dieses Zeug«, erklärte er und trug es zum Abfalleimer in die Küche. »Ich wollte ihr sagen, sie soll es seinlassen, weil die Wohnung wie ein Gewürzladen riecht und ich stundenlang niesen muss .« Er warf die Blätter fort. »Aber sie geht immer auf den Markt in Ostjerusalem und mischt das Zeug selbst zusammen, also bin ich still und werfe den Plunder hinaus, wenn sie weg ist.«
    Lucy hatte das Bedürfnis, etwas klarzustellen. »Ich glaube nicht, daß jeder in Israel schroff und unfreundlich ist, nur … alle, die ich bisher kennengelernt habe.«
    Der Rabbi lachte leise. »Würde es Ihr Mittelwesten-Herz schockieren, wenn Sie erfahren, daß es Menschen auf der Welt gibt, die nicht für Nettigkeit leben? Höflich, ja, leistungsfähig und kompetent – das ist mir recht. Zehn Stunden Small talk über Lächerlich keiten , nein danke. Nett zu sein, kleines Mädchen, bedeutet nichts. Es ist mir lieber, jemand sagt mir ins Gesicht, daß ich ein Itzig bin, als ›Hallo, Mr. Rabbi! Wie geht es, Mr. Rabbi? Guten Tag, Mr. Rabbi‹ – und

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