Der dreizehnte Apostel
kann ich alles überleben.
(Es war sehr, sehr knapp, Patrick.)
Vor dem Spiegel stehend starrte O’Hanrahan lange in sein faltiges, bleiches Gesicht. Seine Augen wurden jeden Monat trauriger, das Blau der Iris trübte sich, die Augenringe wurden tiefer. Super, seufzte er und spritzte sich kaltes Wasser ins Gesicht: Wenn ich Lucy ans feindliche Lager verliere, dann werde ich hier wirklich allein sein.
(Du hast einen Verbündeten, von dem du nie Gebrauch gemacht hast. Einer, der immer bei dir gewesen ist.)
Was soll aus mir werden, wenn Morey mich zurück nach Chicago verfrachtet? Ich habe kein Haus, kein Auto, kein Geld, keine Bleibe …
Ich werde mich in das Heer der Obdachlosen einreihen müssen. Oder zur Hölle mit ihnen allen: Ich werde Matthias Kellners Deutsche Mark nehmen oder meine letzten Jahre in Teheran verbringen, umgeben von meinem Harem …
Es klopfte an der Tür.
»Ich bin’s, Patrick«, rief Gabriel.
In dieser Stunde, dachte O’Hanrahan und warf sich selbst einen letzten, komplizenhaften Blick im Spiegel zu, wird sich entscheiden, ob Patrick O’Hanrahan sich frühzeitig aufs Altenteil zurückziehen muss .
YYY
Im Speiseraum des König David. Lucy hatte sich am Büffet Obst und flüssigen Joghurt geholt, in den sie Nüsse rührte; Rabbi Hersch hatte einen Teller rosafarbenes mageres Roastbeef mit Meerrettich und Senf vor sich und einen Extrateller mit Salat.
»Ich werde Ihnen als Belohnung ein kleines Geheimnis erzählen«, sagte der Rabbi. Lucys Miene hellte sich auf. »Wirklich?«
»Unser Gerede über die Gematrie hat meinem Gedächtnis nachgeholfen. Wissen Sie noch, daß Paddy und ich uneins waren über das Alter von Mrs. Rosen, ob sie zweiundzwanzig oder dreiundzwanzig war? Plötzlich passte alles zusammen – Rosen, die Kabbala und das Matthäusevangelium .«
Lucy wartete sehnsüchtig, daß er ihr das näher erklärte, bevor O’Hanrahan kam. Noch schöner wäre es, wenn sie diejenige sein könnte, die es dem Professor erzählte. »Ich habe doch die zweiundzwanzig Alphabete im Alphabet von Ben Zira erwähnt, diesem großen kabbalistischen Werk. Zweiundzwanzig Alphabete, die sich von den zweiundzwanzig hebräischen Buchstaben herleiten.« Der Rabbi schlug auf den Tisch. »Manche Kabbalisten dachten, es gebe ein dreiundzwanzigstes Alphabet, inspiriert von einem geheimen dreiundzwanzigsten hebräischen Buchstaben, einem höchst schrecklichen und mächtigen Symbol, das nur Gott und der Messias kennen. Wissen Sie, wer Shabbatai Zevi ist?« Sie schüttelte den Kopf.
»Darüber bin ich wirklich froh.« Der Rabbi warf einen Zuckerwürfel in seinen Kaffee und rührte automatisch um. »Eine höchst peinliche Episode in der jüdischen Geschichte. 1665 erklärte er sich zum Messias, und alle fielen darauf herein, große Rabbis, Dorf leute , Analphabeten und Genies verneigten sich vor ihm. Er war geistesgestört, und sein Jünger, Nathan von Gaza, war genauso übergeschnappt; Zevis Frau war eine Hure, und er sprach überall den verbotenen Namen Gottes aus. Die Juden in Europa und Asien brachen auf, um sich ins Gelobte Land führen zu lassen, und dann geht dieser Bursche 1666 hin, konvertiert zum Islam und lässt sich vom Sultan eine Pension zahlen.«
»Au weia.«
»Au weia ist richtig. Auf jeden Fall bezeugte Nathan von Gaza, daß ihm und Zevi dieser dreiundzwanzigste Buchstabe und das dreiundzwanzigste Alphabet offenbart worden seien. Sie wissen ja, daß Rabbi Rosen die Geheimnisse des Matthiasevangeliums innerhalb von zwei Wochen löste, ja? Und er war auch Professor für die Kabbala. Ich war immer der Ansicht, daß er Zugang zu einem kabbalistischen Werk gehabt haben muss , das den Schlüssel zur meroïtischen Sprache enthält. Kleines Mädchen, es ist vierzig Jahre her, daß Rabbi Rosen am Matthias gearbeitet hat, und in diesen vierzig Jahren habe ich jedes Buch durchgesehen, daß er in seinem Büro oder seinem Haus hatte. Ich habe jeden Bibliothekszettel, jedes Buch, das er bestellt hatte, überprüft und im Laufe der Jahre dann in jedem Buch – und es waren Zehntausende von Büchern – den Index nachgesehen. Ich dachte immer, eines Tages würde ich die Seite in dem Buch aufschlagen, das Rabbi Rosen gekannt haben muss ; das den Schlüssel zu dieser unmöglichen Sprache enthält.«
Lucy war fasziniert und flüsterte aufgeregt: »Und haben Sie jetzt mit diesem Hinweis auf den dreiundzwanzigsten Buchstaben das Buch gefunden?«
Sie und der Rabbi registrierten, daß der erschöpft
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