Der dreizehnte Apostel
geschickten theatralischen Darbietung wegen ich von einer Leibesvisitation verschont blieb, also daß das Geld, welches ich unter meinen Gewändern in einer Leibwindel verborgen mitführte, unentdeckt blieb. Ich bewertete diesen kleinen Triumph als gutes Vorzeichen, und bei de r ersten Gelegenheit, in Ptole mais Hermiu, trennte ich mich von der langsamen und schwerfälligen, Räubern ein leichtes Ziel bietenden Karawane.
4.
Ich besuchte dort die nazaräische Synagoge, wo ich bemerkte, daß man von den Glaubensartikeln unserer Kirche keinen unverdorben zu bewahren gewusst hatte, und Bestätigung für das mir zu Ohren gekommene Gerücht suchte, daß ein Jünger – Philippus oder Matthäus, der früher ja in dieser Gegend tätig gewesen war – im Faijum auch gegenwärtig noch evangelisierte. Ich erfuhr, daß ich in der Tat in einem Dorfe unweit von Oxyrhynchus (wo ich erst kürzlich ahnungslos vorbeigezogen war) den Jünger Philippus hätte treffen können.4
Ich beschloss also, um diese Begegnung nachzuholen, ni labwärts nach Oxyrhynchus zurückzukehren, doch überredete man mich, bis zum Ende der Woche zu warten und die Reise gemeinsam mit etlichen nazaräischen Brüdern und Schwestern zu machen, sicherheitshalber. Tatsächlich hätte unsere Reisegesellschaft keinem altersschwachen Hund Widerstand leisten können, und sicherlich hatte Gott mir diese Gesellschaft gegeben, um meine Geduld und Langmut zu prüfen. Eines der alten Weiber fragte mich, offenbar beeindruckt von der Autorität meiner Bildung, ob ich etwa selbst ein Jünger sei. Und ich antwortete ihr: »Glaubst du, daß ich mich hier unten bei euch vor den Römern verstecken würde, wenn ich ein Jünger wäre? Zwanzig Wunder würde ich tun und dem Erdboden befehlen, sie zu verschlingen.« Das schien alle zufriedenzustellen, zu meiner großen Beruhigung. Denn hätte ich mich als Jünger zu erkennen gegeben, hätten diese alten Weiber von mir erwartet, daß ich die nächste Gelegenheit, das Martyrium zu erdulden, freudig ergreife.
5.
Für diese Bande war der Meister nur ein Wundertäter, Unheilsprophet und Lehrer einer Geheimwissenschaft; ich glaube, nicht einem von diesen Leuten war auch nur eine einzige der Ermahnungen des Meisters zur Nächstenliebe erinnerlich. Drei alte Jungfern (die alten Jungfern fühlen sich allenthalben mehr als andere Menschen zu unserer nazaräischen Gemeinschaft berufen), zwei alte Männer, von denen einer schon ausgesprochen senil war, und eine Schar von Waisen und ewig hungrigen jungen Männern, die keine Bedenken trugen, unterwegs verstohlen den Hühnern fremder Leute den Hals umzudrehen und von irgendwo sogar ein Lamm mitgeben zu lassen, das sie sich dann abends brieten – das war die nazaräische Reisegesellschaft, mit der ich nach Oxyrhynchus zurückkehrte. Wahrhaftig, eine saubere Gesellschaft!5 Vor Morgengrauen von der Hauptstraße abbiegend, traf ich zwei Ägypter, die kein Griechisch verstanden, und mit ihnen wanderte ich durch die Wüste bis zu der Oase, wo angeblich der Jünger Philippus einer nazaräischen Gemeinde vorstand.
6.
Das Dorf war von einer hohen Mauer umgeben. Der Torwächter war nicht dazu zu überreden, mich einzulassen. Dieser behaarte, brutal e Geselle begründete seine Wei gerung damit, daß drinnen Jungfrauen wohnten. Entrüstet fragte ich ihn, ob er ernstlich meine, daß ich gekommen sei, die Unschuld dieser Jungfrauen zu verderben. Endlich erschien ein Mann am Tor, der mir als der Vorsteher der nazaräischen Gemeinde des Orts bezeichnet wurde.
Ich sagte zu ihm: »Ich suche den Jünger Philippus.« Er antwortete mir: »Der bin ich.«
7.
Stell dir meine Überraschung vor, mein Bruder, dort an diesem entlegenen Ort nicht etwa dem Jünger Philippus zu begegnen, sondern einem Hochstapler, der sich für jenen ausgab! Er war viel jünger, als ein wahrer Jünger zu jenem Zeitpunkt hätte sein können, kaum viel über vierzig, mit schändlich rasiertem Gesicht und kahlem Schädel. Wenn der Pöbel, von dem er sich für einen Jünger des Meisters halten ließ, auch nur für einen Augenblick über die Erscheinung dieses Mannes nachgedacht hätte, er wäre durchschaut und mit Schimpf und Schande davongejagt worden. »Ach, Matthias«, redete er mich an, als wären wir alte Bekannte. »Vielleicht erinnerst du dich meiner ja nicht. Ich habe von Philippus, meinem Lehrer, den Namen angenommen.«6
Das versöhnte mich zwar ein wenig, doch schien’s mir nach wie vor entschieden
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