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Der dreizehnte Apostel

Der dreizehnte Apostel

Titel: Der dreizehnte Apostel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilton Barnhardt
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Augen zu waschen, in das Gotteshaus zu treten, das Gesicht nach Mekka zu wenden und mit wahrer Hingebung zu Gott zu beten. Nicht am Sonntagmorgen höflich in einer Kirchenbank sitzen, sondern sich niederwerfen, auf den Knien liegen, den Fußboden mit dem Kopf berühren und inbrünstig schluchzen – fünfmal am Tag, an jedem Tag ihres Lebens: Es gibt keinen Gott außer Gott. »Ash-hadu an laaaa ilaaaaaaaaaha illa ’llaaaaah …« O’Hanrahan hat recht, dachte Lucy. Welch musikalische Sprache ist Arabisch, wenn es gesprochen wird, und wie wunderbar schmückt diese Sprache das Gebet, die Beschwörungsformel. Es gibt keinen Gott außer Gott: Laa ilaaha illa ’llaah. Für den westlichen Mund wahrlich ein Zungenbrecher, aber wenn man dieses Credo, das Kalimah, wieder und wieder sagt, führt es zu einem Trancezustand, der stete Wechsel von kurzen und langen A gibt ihm einen Gezeitenrhythmus. Jeder Atemzug ein Gebet, Herzschlag und Atmung harmonieren zur Verehrung des Einen, Der Dies Leben Geschenkt. »Assalaatu Khairun mina ’n-naumi!«
    (Es ist besser zu beten, als zu schlafen. Was hältst du davon?)
    Lucy rollte sich auf die Seite und glättete das dünne Leintuch des Hotels. Sie fühlte sich nicht besonders gut. Ich fühle mich schon seit der Ankunft in Israel nicht ganz in Ordnung, dachte sie. Ich schlafe qualvoll schlecht und habe scheußliche Kopfschmerzen; die Hitze lässt meine Beine anschwellen und macht mich reizbar … O Himmel, jetzt fängt mein Bauch auch noch an zu rumoren. Ich habe zu schnell vor Dr. O’Hanrahan geprahlt, daß meine Magen Probleme verschwunden seien. Lucy setzte sich auf. Ihr war schwindlig, ihr war speiübel, und sie hatte einen ekelhaft säuerlichen Geschmack im Mund. Sie rannte zur Toilette und übergab sich.
    Wenig später, nachdem sie den Deckenventilator auf höchste Stufe gestellt hatte und in dem kühlen Luftzug auf dem Bett lag, redete sie sich ein, daß sie sich gleich besser fühlen werde. Aber es war zwecklos; der Schweiß lief ihr übers Gesicht, und ihre Stirn fühlte sich feucht und klebrig an. Ich halte das nicht mehr aus, dachte sie und wischte sich die Stirn mit dem Laken ab.
    Morgendliche Übelkeit.
    Sie rechnete: Ich hatte meine Periode nicht, aber das kann auch wegen der ganzen Herumreiserei, der Hitze und der Sorgen sein. Ich habe geschwollene Beine und bin nörglerisch, aber das kann dieselben Ursachen haben. Und jetzt ist mir morgens übel geworden … das könnten Mohammeds Überraschungs-Kebabs von gestern Abend sein. Ich könnte aber auch aufhören, mir selbst was vorzumachen. Lucy stellte sich vor, was es heißt, ein babygroßes Ding aus dem Körper zu pressen. Es wird herauskommen, eine Krankenschwester wird es mir in den Arm legen, einen Jungen oder ein Mädchen … ich glaube, einen Jungen. Ich werde es kurz im Arm halten, und dann werden die Leute von der Adoptionsvermittlung es mir wegnehmen. Genauso unvorstellbar wie die Wehen und die Geburt. Genauso unvorstellbar, wie mit dem Kind zurückzugehen nach Chicago, einen Kinderwagen und ein Babybettchen zu kaufen und die Wohnung mit Babysachen auszustatten – vielleicht mit einer anderen alleinstehenden Mutter zusammenzuziehen, um sich beim Babysitten und so abzuwechseln. Dieses lächelnde kleine Ding, das zu mir herkrabbeln wird, um mich zu umarmen, wenn es älter ist, das laufen lernen und auf seinen kleinen, windelgepolsterten Hintern fallen wird. Nee. Hat keinen Sinn – ich kann dieses Bild mit keinem Hauch von Mutterinstinkt oder Gefühl beleben. Lucy versuchte, sich selbst mit einem Sohn im Arm vorzustellen, Madonna mit Kind. Würde ich ihn je ansehen können, ohne zu denken: Lucy, das hast du nun auf dieser Welt zu tun, anstatt dein eigenes Leben zu leben?
    »Hayya ’ala ’l-falaaaaaaah! Hayya ’ala ’l-falaaaaaha!«
    Sie tastete auf dem Nachtkästchen nach ihrem Rosenkranz. Sie hatte ihn in Rom für Tante Lucy gekauft, aber nun brauchte sie ihn selbst wohl nötiger. Vielleicht würde er sie zurückführen zu der alten Lucy, der Lucy ohne Probleme, die alle Antworten wusste , der Lucy, die ihr Leben sorgfältig mit Verboten eingezäunt und auf einen engen Raum beschränkt hatte, wo sich keine Schwierigkeiten ergeben konnten
    – diese Lucy Dantan. (Darauf würde ich mich nicht verlassen.) Automatisch begann sie ein Gegrüßet seist du, Maria.
    Ja, es fühlte sich leer an, aber vielleicht wird es doch etwas bewirken, sagte sie sich … Sie spürte, wie ihre Augen sich mit Tränen füllten. Jetzt

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