Der dreizehnte Apostel
verraten hat. Sie sagte, der Mönch sei Amerikaner. Ich wollte mir dieses Zimmer 416 ansehen, und es ist durchsucht worden. Und der Koffer war der von Rabbi Hersch.«
O’Hanrahan legte sich die Hand auf die Stirn. »Also … er hat gesagt, daß er sich hier mit uns treffen würde …«
»Glauben Sie, daß Rabbi Hersch der fanatische Frater sein könnte?«
»Jesus«, brummte der Professor und fing an, sich die Stationen ihrer Odyssee ins Gedächtnis zu rufen. Zuerst war der fanatische Frater in Assisi aufgetaucht, wie Pater Vico gesagt hatte … und der Rabbi war in Italien gewesen, als er eigentlich nicht dort hätte sein sollen, in Rom. Also konnte es sein, daß er vor ihnen in Assisi gewesen war. Dann war der Mönch in Athen und auf dem Berg Athos gewesen. Es war vorstellbar, daß Morey nicht in ein Flugzeug nach Tel Aviv gestiegen, sondern statt dessen ein paar Tage vor ihnen nach Griechenland geflogen war.
In Jerusalem war der Frater nicht aufgetaucht, was ebenfalls ein schlechtes Licht auf den Rabbi warf, aber dann im Wadi Natrun und der koptischen Bibliothek, dann in Khartum … Warum sollte Morey so etwas tun? O’Hanrahan und Lucy gingen jede Möglichkeit durch, diskutierten wieder und wieder die spärlichen Fakten.
»Gehen wir hinunter an die Rezeption«, sagte O’Hanrahan und stand auf. »Das ist die einzige Möglichkeit, um mit Gewissheit herauszubekommen, wo Morey gewesen ist.«
Im Aufzug blickte Lucy ängstlich auf den Professor. »Was haben Sie vor?« fragte sie.
»Hoffen wir, daß für die Äthiopier alle alten weißen Männer gleich aussehen.«
O’Hanrahan ging an die Rezeption und wandte sich an den lächelnden, honigfarbenen Angestellten, der sichtlich darauf bedacht war, alles recht zu machen. »Entschuldigen Sie«, begann er, »ich brauche meinen Pass , um meinen letzten Travellercheque einzulösen. Würden Sie ihn mir bitte geben? Zimmer 416.«
Der Augenblick der Wahrheit. Würde O’Hanrahan dem Passfoto des Rabbis ähnlich genug sehen, um den jungen Mann zu täuschen? Der Pass des Gastes aus Zimmer 416 wurde ihm ohne Überprüfung ausgehändigt … Lucy trat näher, als der Professor zu blättern anfing. »Natürlich«, murmelte O’Hanrahan. »Morey ist in Brooklyn aufgewachsen und hat die doppelte Staatsbürgerschaft. Da kein Israeli problemlos durch den Sudan reisen könnte, benutzt er natürlich seinen amerikanischen Pass …«
Lucy erinnerte sich, daß der Rabbi diesen Pass auch an der nordirischen Grenze benutzt hatte.
»Hier ist England, dann Irland, abgestempelt in Dublin, dann Italien, Mailand … Verdammt, hier ist ein griechischer Stempel! Er war tatsächlich einen Tag vor uns da! Er ist also wirklich von Rom aus nicht nach Jerusalem zurückgeflogen. Haben Sie nicht gesehen, wie er in sein Flugzeug gestiegen ist, als ihr beide zusammen am Flughafen wart?«
»Nein«, antwortete sie achselzuckend. »Ich habe mir in der Wartehalle einen angetrunken, wissen Sie nicht mehr?« Aber dann fiel ihr etwas ein: »Richtig, ich erinnere mich, daß kein Flug nach Tel Aviv angekündigt war.«
Der Mann an der Rezeption blinzelte sie nun misstrauisch an. »Ich habe es mir anders überlegt«, entschuldigte sich O’Hanrahan. »Ich löse meinen Scheck morgen ein.« Er sah, daß der Schlüssel für Zimmer 416 nicht an seinem Haken hing.
Lucy und der Professor gingen zurück zum Aufzug und fuhren in den vierten Stock.
»Wenn der Schlüssel nicht unten hängt, ist der Rabbi jetzt vielleicht wieder da«, meinte O’Hanrahan. Diesmal war die Tür von Zimmer 416 geschlossen. O’Hanrahan klopfte.
Vorsichtig, als befürchte er, daß weitere Vandalen kommen könnten, fragte der Rabbi von innen, wer da sei. »Ich bin’s, Morey«, sagte O’Hanrahan finster.
»Hallo, mein Freund«, erwiderte der Rabbi ebenso düster und öffnete die Tür. Niedergeschlagen setzte er sich dann wieder aufs Bett. »Kommt herein, baut euch einen kaputten Stuhl auf.«
»Sie sind also der fanatische Frater?« fragte Lucy, die aus einem Grund, den sie nicht näher bezeichnen konnte, zutiefst verletzt war. Weil sie verraten wor den war? Weil sie sich wieder einmal in jemandem getäuscht hatte?
»Was geht hier vor, Mordechai?« fragte O’Hanrahan.
»Wir stecken alle miteinander in einem verdammten Schlamassel, das ist es, was los ist«, erwiderte der Rabbi.
O’Hanrahan fand einen umgekippten Stuhl, stellte ihn wieder auf und setzte sich. »Okay, Morey«, sagte er vorsichtig. »Ich werde gar nichts sagen, bevor
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