Der dreizehnte Apostel
Chicago Ihre Sendungen angesehen. Sie schicken das ganze Land in die Hölle. Sie predigen nicht Liebe, Sie predigen nicht Jesus …«
»Weder Unzüchtige noch Götzendiener, noch Ehebrecher, noch Weichlinge, noch Knabenschänder. Das sind die nackten, grausamen Tatsachen.«
»Sie zitieren Paulus, ohne den Kontext seiner Gesellschaft in Betracht zu ziehen«, protestierte
O’Hanrahan und wischte sich über die fieberheiße Stirn.
»Dr. O’Hanrahan«, fragte Lucy, »fehlt Ihnen etwas?«
»Die Ehebrecher sollen verbrennen!« verkündete Lila Mae und starrte hypnotisch auf ihren Mann. »Nicht wahr, Liebling?« Lucy fragte sich plötzlich, ob Mrs. Bullins ihren Mann dieser Sünde bezichtigte.
»Mama, beruhige dich«, sagte Farley jr.
»Die zentrale Botschaft des Christentums ist Erlösung«, erklärte O’Hanrahan.
»Ja, Erlösung für all die Menschen, die Paulus aufgezählt hat.«
Ohne Appetit sah e r auf seinen Teller. »Mein ver storbener Sohn war homosexuell.«
Das beendete die Unterhaltung erst einmal.
Lucy erinnerte sich daran, daß O’Hanrahan in Khartum etwas anderes über Rudolph gesagt hatte. Aber jetzt sprach er sicher die Wahrheit. Sie ahnte, welchen Kampf es einen Mann aus der Generation Patrick O’Hanrahans gekostet haben mochte, einen homosexuellen Sohn zu haben. »Aids«, intonierte Reverend Bullins, »ist Gottes Rache an jenen, die Gottes Absicht pervertieren. Es tut mir leid, wenn Ihr Sohn
so zu Tode gekommen ist. Aber: Mein ist die Rache, spricht der Herr.«
O’Hanrahan erhob sich voller Abscheu vom Tisch … aber er taumelte. Er fiel zurück gegen seinen Stuhl und verdrehte die Augen. Bei dem Versuch, sich abzustützen, warf er sein Wasserglas um, es schlug gegen den Teller und zerbrach. Wasser floss über die Tischdecke.
»Sir!« Lucy sprang auf.
O’Hanrahan hielt sich am Stuhlrücken fest, aber dann kippte er um. »Mein Gott, rufen Sie einen Arzt!« schrie Lucy und eilte zu ihm.
»Das ganze Zitat lautet folgendermaßen: Gebt euch keiner Täuschung hin«, fuhr Reverend Bullins kalt fort, ohne auf seinen zu Boden gestürzten Gast zu achten oder gar einen Finger zu rühren. »Weder Unzüchtige noch Götzendiener, noch Ehebrecher, noch Weichlinge, noch Knabenschänder, noch Diebe, noch Habsüchtige, noch Trunkenbolde …«
»Um Himmels willen, er hat eine Art Anfall!« Camilla stellte ihr Tablett ab und stürzte ans Telefon. » … noch Lästerer, noch Räuber werden Anteil haben am Reiche Gottes.«
Mrs. Bullins stand auf und deutete anklagend mit dem Finger auf O’Hanrahan, der stöhnend auf dem Teppich lag. »Satan ist über ihn gekommen, seiner sündigen Werke wegen! Ich treibe diesen Dämon aus, in Jesu Namen, dem geheiligten, gesegneten Namen …« Tränen stiegen ihr in die Augen und ihre Stimme brach, so wie man es mehrmals pro Woche in Bullins’ Fernsehsendung sehen konnte. » … der herrlichste, heiligste Name. Hinaus, Dämon, heb dich hinweg!«
Lucy, selbst den Tränen nahe, fuhr Farley an: »Er ist nicht betrunken, um Himmels willen, er hat eine Herzattacke oder etwas Ähnliches!«
»Die Ambulanz ist unterwegs, Miss!« rief Camilla.
Lucy schrie Farley an: »Hilfst du mir vielleicht, ihn hochzuheben?« Farley Bullins jr. Erbe des hundert Millionen Dollar schweren TPL-Empires, saß wie gelähmt auf seinem Stuhl, eine Hand umklammert von seiner delirierenden Mutter. Er blickte ratsuchend auf seinen Vater, und Reverend Bullins blickte gelassen zurück. Unfähig zu entscheiden, was er tun sollte, glotzte Farley wieder auf Lucy.
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Das TPL Medical Center war, wie angepriesen, ein großes, gut ausgestattetes Krankenhaus in der Tradition vieler Krankenhäuser der Baptisten und der Pfingstgemeinde in den Südstaaten. Als Lucy durch die Eingangshalle ging, fiel ihr auf, wie sehr die Leute dem Bild glichen, das man von den Menschen der Südstaaten hatte: die dicken alten Frauen, die fettleibigen Schwarzen, die vogelscheuchenartigen Männer wie aus den Fotoserien von Margaret Bourke-White aus den dreißiger Jahren; Unterhemden, Hauskittel und Pullover aus Polyester; die auf Wirkung bedachten, zu grell geschminkten jungen Mädchen mit feuerrot lackierten Fingernägeln, die in ihren rückenfreien Oberteilen viel zu pummelig wirkten … Als Lucy im neunten Stock der Bullins-Festung, wo O’Hanrahan lag, aus dem Aufzug stieg, kam sie in einen Wartesaal voller müde aussehender Louisianer. Alle rauchten, was das Zeug hielt, ein Mann trank Bier aus einer diskret in Papier
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