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Der dreizehnte Apostel

Der dreizehnte Apostel

Titel: Der dreizehnte Apostel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilton Barnhardt
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sie sich fast diesem Mädchen mit dem freundlichen Gesicht anvertraut. Aber nein, stell dir das vor! Die freundlichen, wohlmeinenden frommen Sprüche, die Besuche im New Life Covenant Center, die Gebete und flehenden Bitten, daß Gottes Wille erfüllt werde. »Nein, ich bin zu Besuch bei den Bullins.«
    »Wow«, lächelte das Mädchen und warf das lange, strohblonde Haar zurück, »im Weißen Haus – so nennen wir diesen Riesenwohnsitz.«
    »Ja, sie haben mich da eingeladen …« Lucy bemerkte, wie ihr die Stimme versagte.
    Die junge Studentin legte ihr die Hand auf den Arm. »Was hast du denn, irgendetwas ist doch nicht in Ordnung?«
    Lucy erstarrte. »Nichts. Mir wäre es nur lieber, wenn der Drugstore nicht so weit weg wäre. Nur eine Kleinigkeit. Tut mir leid, daß ich dich belästigt habe.«
    »Mein Freund Scott hat ein Auto, wir könnten dich …«
    Lucy machte sich entschlossen los und wandte sich in die andere Richtung. »Nein, das ist sehr freundlich, aber danke, nein. Guten Abend.«
    Die junge Frau sah ein wenig verletzt aus, war aber immer noch überzeugt davon, daß etwas nicht in Ordnung war. »Ich heiße Patsy! Bis bald vielleicht«, rief sie noch und hoffte, Lucy werde sich ebenfalls vorstellen. Woher weiß sie, daß etwas nicht stimmt? fragte sich Lucy, als sie sich auf den Weg machte.
    (Man braucht dich ja nur anzusehen.)
    Verdammt, dieses Bibelvolk hat einen Riecher für verlorene Seelen. (Patsy ist ein liebes Mädchen, und sie hätte dir helfen können.)
    Ich habe Angst vor diesen Wiedergeborenen, dachte Lucy und hielt den Kopf gesenkt, als sie an einem Vorlesungssaal vorbeikam, aus dem gerade die Studenten strömten, Bibeln unter dem Arm und leidenschaftlich diskutierend über Jesaja, Prophezeiungen und – ja, sie hörte es – über die Endzeit, die selbst hier in Philadelphia angekündigt wurde. Um die Augen herum stimmt etwas nicht mit ihnen, entschied Lucy. Patsy lebt in einer Traumwelt. Christliche Unschuld plus monatliche Beiträge an Reverend Bullins’ Evan gelisierungsmaschinerie .
    (Und du findest das weniger fundiert als die Heiligen und die Rosenkranzroutine des Katholizismus, nicht wahr?)
    Wie nahe war sie daran gewesen, sich von Patsy mit aufs Zimmer nehmen zu lassen, zu weinen und alles zu beichten, sie für sich beten zu lassen, ihre Ratschläge anzuhören und … O Gott, wie nahe war ich an diesem ganzen Zirkus. Patsy zu Dank verpflichtet zu sein, diesem gerade zwanzigjährigen Ausbund an Tugend, ohne Lebenserfahrung, ohne
    eine Vorstellung von irgendetwas außer ihrem bequemen Vorstadtgott …
    (Klingt wie du vor ein paar Monaten.)
    Lucy lehnte sich gegen das Schild an der Bushaltestelle. Nach all dem, was sie in Äthiopien gesehen hatte, nach all den Krankheiten und Leiden – und davon gab es hier in Louisiana bestimmt auch nicht zu wenig – fragte sie sich, wie die Leute Millionen in diesen … Nein, es ist eigentlich nichts anderes als die Peterskirche in Rom oder der protzige, goldverzierte Vatikanpalast. Und das ist alles so verdammt irrelevant für das, was Jesus gewollt hätte.
    (Und was wirst du dafür tun?)
    Hör zu, ich würde diese Welt sofort verlassen – die akademische Welt, mein Leben in Chicago –, um in Afrika neben dieser Krankenschwester zu stehen, um bei Leuten zu sein, die mich vielleicht wirklich brauchen, nicht so wie hier, wo mich niemand braucht. Außer Dr. O’Hanrahan. Und verdammt, der liegt im Sterben.
    Lucy ging zurück ins Haus der Bullins und wurde von einem schwarzen Diener durch einen Seiteneingang eingelassen. Camilla war noch in der Küche und buk Reverend Bullins’ Lieblingsgebäck für das morgige Frühstück, wie sie Lucy in ihrem einschläfernden Louisiana-Slang erklärte. Wetten, daß er sie mies bezahlt, dachte Lucy, als sie die Treppe hinaufstieg. Trotz der paar Schwarz en ist dieses TPL-Imperium ein F antasyland der Weißen, noch eins von diesen schauderhaft unwiderstehlichen Produkten aus dem Teil der Welt, der uns Scarlett O’Hara, Graceland, den Mardi Gras, »Way Down Upon the Suwannee« und die Konföderation beschert hat.
    Lucy ging in ihr Schlafzimmer und verschloss die Tür, bevor Farley oder sonst wer sie mit Nachtgebeten überfallen konnte. Sie kletterte in das bequeme Gä stebett – das erste bequeme Bett seit … ja, seit sie im Juni aus Chicago abgereist war. Ein Digitalwecker mit einem kobaltblauen TPL-Logo und einem Kreuz über der Zeitangabe gab das einzige Licht im Zimmer.
    Ich könnte vielleicht zu diesem New

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