Der dreizehnte Apostel
und vielleicht war vorehelicher Sex hier im Bullinsland verboten. » … äh, ihre Periode ist ausgeblieben, und ich habe mich nur gefragt … Sie ist durch Europa und Afrika gereist, fremdes Essen und fremdes Klima und jede Menge Stress …«
Die Ärztin nickte. »Es ist sicher möglich, daß da die Regel einmal ausbleibt. Ist Ihre Freundin hier? Sie kann sich einen Schwangerschaftstest aus der Apotheke holen, gleich neben dem Geschenkladen.«
»Ja, das werde ich vorschlagen«, meinte Lucy mit einem gekünstelten Lächeln. »Meiner Freundin, meine ich.«
Lucy ging zum Aufzug. Also, bringen wir das jetzt hinter uns oder wie? In der Krankenhausapotheke nahm sie eine Tube Zahnpasta, eine Zeitschrift, neutrale Sachen, um den Schwangerschaftstest zu kaschieren. Sie las die Gebrauchsanleitung auf der Schachtel. Aber sie brachte es nicht fertig, den Test gleich anzuwenden.
Sie warf den Behälter in ihre Tasche. Ich mache den Test, wenn ich wieder im Haus der Bullins bin, sagte sie sich. Als sie aus der Apotheke ging, hörte sie eine Stimme. »Sind Sie das, Miss Dantan?«
Lucy drehte sich um und traute ihren Augen nicht. Rabbi Hersch! In seinem vertrauten Gang kam er durch die Eingangshalle geschlendert, gekleidet in sein ehrwürdiges Tweedsakko mit den Lederflicken am Ärmel, das er in der arktischen Kühle der Kran kenhausklimaanlage brauchen konnte.
Lucy rannte auf ihn zu und umarmte ihn.
»Hallo«, sagte er und machte einen Schritt zurück, verlegen über diese Gefühlswallung.
»Rabbi, Sie sind am Leben! Ich bin so froh, Sie zu sehen!« Lucy stammelte zusammenhanglos. »Es tut mir leid, daß ich einen solchen Verdacht gegen Sie hatte; wissen Sie, an dem Tag, als ich herausgefunden hatte, daß Sie der fanatische Frater waren, habe ich gedacht, daß …«
Er hob die Hand. »Nein, genug! Ich war argwöhnisch und habe Ihnen auch nicht getraut. Wir sind ein feines Trio. Aber vorsichtig, und das ist gut. Wir sind so weit gekommen, weil wir vorsichtig sind. Geht es Paddy besser?«
Lucy schüttelte niedergeschlagen den Kopf und wiederholte die Diagnose der Ärztin.
»Ach«, seufzte der Rabbi und schüttelte den Kopf. »Ich habe gewusst , daß das passieren würde. Und ich habe es ihm gesagt. Jetzt hat er es endlich geschafft.«
Lucy wollte Rabbi Hersch zu O’Hanrahans Zimmer führen. Der Rabbi blickte über die Schulter und zögerte einen Augenblick, als erwarte er jemanden.
»Verfolgt Sie jemand, Sir?«
»Ja, in der Tat. Dieser fette Idiot, der glaubt, daß er Spion spielt. Selbst ein Blinder würde ihn sehen … Zu
doof, um wirklich ein Geheimagent zu sein. Egal! Gehen wir zu Paddy.«
Im Aufzug zum neunten Stock begann Lucy mit einer Zusammenfassung all dessen, was sie über Merriwether, Bullins und über Ölrechte im Golf von Mexiko wusste , über Colonel Westin und die Operation Der Flug des Adlers. Dann betraten sie O’Hanrahans Zimmer. Lucy stammelte fassungslos: »Das ist sein Zimmer, und er ist nicht da.«
»Haben Sie sich vielleicht im Zimmer geirrt?«
»Entschuldigen Sie«, winkte Lucy einer Krankenschwester. »Ich war vor zwanzig Minuten hier; ein Patrick O’Hanrahan lag in diesem Zimmer.«
»Reverend Bullins persönlich ist an ihm interessiert«, antwortete die stämmige Schwester mit dem verwaschenen Akzent, den man hier überall hörte, von Schwarzen wie von Weißen gleichermaßen. »Wir wollen sehr gründlich sein, nicht? Wir haben ihn auf
die Intensivstation verlegt.«
»War das notwendig?« fragte der Rabbi.
»Vierzig Grad Fieber«, erwiderte die Schwester. »Delirium, Schüttelfrost, unregelmäßiger Herzschlag. Er wird an einen Monitor angeschlossen.« Der Rabbi und Lucy sahen einander an, vereint in gemeinsamer Trauer.
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Spätnachmittag. Es war Zeit, etwas zu essen.
Lucy nahm ein braunes Plastiktablett und trug es an einem Metallgrill vorbei zur Theke, wo es warme Gerichte gab. Große schwarze Frauen in frischen weißen Uniformen rührten in dampfenden Bergen von Langbohnen, in Kesseln voller zerstampfter Süßkartoffeln und einer Reine mit fritiertem Okra-Gemüse, die unter einer Wärmelampe stand. Tapfer deutete Lucy auf die Südstaaten-Gemüse, bereit, es einmal damit zu versuchen. Nachdem sie bezahlt hatte, ging sie mit ihrem Tablett zu den sonnenbeschie nenen Tischen, wo Rabbi Hersch saß und Zeitung las. Sie hatten abwechselnd nach O’Hanrahan gesehen, da auf der Intensivstation nur jeweils ein Besucher erlaubt war. O’Hanrahan, der am Vormittag noch so munter
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