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Der dreizehnte Apostel

Der dreizehnte Apostel

Titel: Der dreizehnte Apostel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilton Barnhardt
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nötig.)
    Vergib mir, aber selbst zu diesem späten Zeitpunkt könnte ich niemals glauben, daß Du. vollkommen bist. Daß Du Gott bist und größer als ich, kein Zweifel. Aber vollkommen? Wie oft hältst Du Dich fein heraus -Auschwitz, Hiroshima, der Erste Weltkrieg und all das –, und täusche ich mich, oder brauchst Du uns bescheidene Menschen genauso wie wir Dich?
    Wir sind die beste Schöpfung, die Du zustande gebracht hast – und verschließ davor nicht die Augen: Es ist eine Menge an Pfuscharbeit dabei. Ich hatte etwas gegen den frommen, unfehlbaren, päpstlichen Gott, den allmächtigen und allwissenden Gott … das alles bist Du nicht. Daß Beatrice und mein Rudy beide bei einem Unfall ums Leben kamen, zeigt, daß es Sprünge gibt in Deiner Schöpfung. Aber ich, Patrick Virgil O’Hanrahan, habe Deine Bedingungen akzeptiert!
    Natürlich erkenne ich mein Versagen. Meine Frau hätte wissen sollen, wie sehr ich sie geliebt habe. Mein Sohn hätte der Unerschütterlichkeit meiner väterlichen Liebe schon überdrüssig sein sollen. Da ha be ich versagt. Versagt, versagt, mich gedrückt, gekniffen – ich bestreite es nicht. Aber in den letzten zwanzig Jahren habe ich in einer Hölle gelebt, die ich mir selbst geschaffen habe, und vielleicht wird das die andere Hölle von meinem Konto löschen. Ich fühle mich schwach. Das muss ein Delirium sein, denn jetzt rede ich mit dem Heiligen Geist, nein, der Großen Sophia; sie ist hier im Zimmer mit ihrem schönen Gesicht aus Licht und ihrem Haar aus Sternen … Wenn ich nur den Blick auf sie konzentrieren könnte, aber ich spüre, daß der Schlaf wieder kommt … Meine Lider werden schwer. Noch ein letzter Gedanke: Wenn ich dieses absurde Leben noch ein wenig länger führen könnte, würde ich es tun, und ich würde einen Weg finden, um meine Selbstsucht und meine mangelnde Liebe für meine Frau und meinen Sohn wiedergutzumachen. Ich weiß, daß Dir solche Tauschgeschäfte schon zum Hals heraushängen müssen, aber hier, mein Angebot: Ich würde mit einem besseren Herzen weitermachen.
    (Wir lieben Tauschgeschäfte. Wir schließen dauernd welche ab.)
    31. August 1990
    Lucy war an diesem Morgen die erste in der Kapelle des Bullins Medical Center. Im Vorraum lag eine Reihe von Broschüren aus, alle von Bullins; auf vielen Titelblättern prangten sein breites Gesicht und seine erhobenen Hände. »Wenn der Tod anklopft«, war ein Titel. Ein anderer hieß »Gebete und Wunder« und ging mit Wundern hausieren, die gute Christen der Pfingstgemeinde jeden Tag erlebten, jawohl, jeden Tag! Lucy öffnete die Tür und sah, daß die Kapelle leer war. Für ein Bullins-Produkt war diese moderne, nicht konfessionsgebundene Kapelle recht geschmackvoll. Einige kurze Bankreihen führten zu einem erhöhten Podium und einer Art Kommunions tisch , obwohl keine Utensilien dafür zu sehen waren. Hinter dem Altar hing ein einfaches Kreuz aus blauem Glas. Lucy setzte sich in die letzte Bankreihe und atmete die Stille ein: Der höllische Lärm der Maschinen zur Lebensv erlängerung, der Krankenwagensi renen und der ständig rauschenden Sprechanlage, die Ärzte und Schwestern zu verschiedenen Notfällen rief, drang nicht in diesen friedlichen Raum.
    Lucy griff nach dem Rosenkranz in ihrer Tasche. Sie kniete sich hin und senkte den Kopf, müde und erschöpft bei dem Gedanken an hundert Vaterunser oder so, zu denen sie sich verpflichtet hatte, wenn sie nach einer weiteren unruhigen Nacht wieder aufwachte.
    (Du könntest die Vaterunser streichen und einfach mit Uns reden.)
    Herr, dachte sie, halb betend, ich bin zurückgefallen in meinen alten Kinderglauben, nur daß es nichts mehr nützt, diese Rituale abzuspulen. Aber ich weiß nicht, was ich sonst tun soll. Ich fühle mich sehr fern. Vater unser, der Du bist im Himmel, geheiligt werde Dein Name. Dein Reich komme … Weißt Du, ich habe die Hoffnung, daß ich mich irgendwie mit einer Starthilfe in meinen alten Glauben zurückversetzen kann, wenn ich diese Routineworte oft genug sage. Dieser Schuft O’Hanrahan! Er hat mich untergraben, oder vielmehr das unerschütterliche Vertrauen untergraben, das ich einst hatte. Nicht meinen Glauben an Gott, ich weiß, daß Du da oben bist, aber ich weiß nicht mehr, an welche Version von Dir ich glauben soll … Koptisch, muslimisch, orthodox, den Gott der Pfingstgemeinde – oder ein akademischer Glaube wie im Theologischen Fachbereich zu Hause in Chicago; ein emotionaler, alles durchdringender Glaube wie bei

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