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Der dreizehnte Apostel

Der dreizehnte Apostel

Titel: Der dreizehnte Apostel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilton Barnhardt
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mit seiner sanften Altstimme. »Ich werde hier sein.«
    Lucy setzte ein breites Lächeln auf und schlüpfte hinaus. Hinaus aus Braithwaite, über den Rasen und durch den pfeifenden Wind zurück zum All Souls’ und hinauf zu O’Hanrahans Zimmer. Sie klopfte.
    »Gehen Sie weg«, brummte eine erschöpfte Stimme von drinnen.
    »Entschuldigen Sie, daß ich schon wieder Ihr Nickerchen störe, aber ich …« Die Tür wurde aufgerissen, und O’Hanrahan sagte gefährlich ruhig:
    »Ich mache kein Nickerchen.«
    Bevor er sich in seinen Zorn hineinsteigern konnte, hielt sie ihm rasch das Kuvert mit den 400 Dollar entgegen. Sorgfältig zählte er nach.
    »Nicht schlecht, was?« fragte sie. »700 Dollar an einem Nachmittag. Sie sollten mich als Assistentin nehmen.«
    »Danke«, sagte er widerwillig. »Wenn einmal das große Buch über diese Sache veröffentlicht wird, be kommen Sie eine Fußnote. Gute Nacht.« »Halt, ich habe noch nicht geraten!« »Na los, aber schnell …« »Äh, Andreas?« Falsch! »Eine frühere Fassung des Matthäus, glaube ich. Es
    …« Falsch! Sie versuchte es mit einer wilden Vermutung: »Kandidat Nummer fünf, Bartholomäus/Nathanael?« Falsch! »O nein, ich dachte, ich hätte es.«
    Der Professor musterte sie anerkennend. »Sie müssen die Bücher durchgesehen haben, die ich in der Bibliothek bestellt habe. Sie haben wohl bei den Bibliothekarinnen, diesen Stymphalischen Vögeln, intrigiert …«
    »Sind Sie sicher, daß es nicht St. Bart ist?«
    »Wissen Sie, seine Reliquien waren einmal hier in Oxford«, erzählte O’Hanrahan.
    (Armer St. Bartholomäus, in Indien gehäutet, Schutzpatron aller Gerber und Arbeiter, die mit Häuten zu tun haben. Als großen Gefallen für König Canute, einen dänischen Schläger, der von der zu Kreuze kriechenden Kirche sanktioniert wurde, brachte man einen Arm des Heiligen nach England. Die Sensation der Jahrtausendwende, das können Wir dir versichern.)
    »Edward III. ließ St. Bartlemas in Oxford erbauen, soweit ich mich erinnere«, fuhr der Professor fort, »in der die abgezogene, verschrumpelte, schwarz gewordene Haut von St. Bart aufbewahrt wurde. Niemand weiß, was aus dieser Reliquie geworden ist.«
    »Ich habe den Verdacht, die Engländer haben sie für eines ihrer Frühstücksgerichte gehalten und sie aufgegessen. Sir, wann können wir jetzt über Sie
    wissen-schon-wen reden und besprechen, was ich in Chicago bei Dr. Shaughnesy berichten soll?«
    O’Hanrahan sah sie ungewohnt geduldig an. »Okay, wie wäre es morgen beim Frühstück? Um zwölf Uhr im Randolph, diesmal werde ich Sie einladen.«
    »Meinen Sie es ernst?«
    »Und ich werde Ihnen alles sagen; alles wird offengelegt werden. Ich werde Sie mit Gnosis und vielen Gaben des Geistes tränken.« Er machte das Kreuzzeichen über ihr wie ein Priester.
    »Äh, vielen Dank, Sir, ich …« Die Tür wurde zugeschlagen.
    Sie formte die Hände zu einem Trichter und rief: »Guten Abend, Sir!« Keine Antwort, aber was soll’s. Schließlich würde sie ihre Mission doch noch erfolgreich zu Ende bringen! Und wer weiß, mit Dr. Shaughnesy im Prüfungsausschuss für die Doktorarbeiten würde es vielleicht gar nicht so schwer werden, eine Verlängerung zu bekommen … Mein Ansehen an der Fakultät wird auf Rekordhöhe steigen, und wie werden sie erst die Geschichten genießen, die ich ihnen über ihren Kollegen, Dr. Patrick Virgil O’Hanrahan, ihre Geißel Gottes, erzählen kann. Lucy ging vom All Souls’ aus die High Street hinauf, wo sie einen Kebab-Stand sah, der an diesem feuchttrü ben frühen Abend bereits verkaufte. Sie sah sich um, ob sie Duncan irgendwo entdecken konnte – hauptsächlich, um sich dafür zu entschuldigen, daß sie vor ihm gekotzt hatte und so betrunken gewesen war, und zweitens, um auf den Busch zu klopfen, ob da eine Freundschaft möglich wäre. Vielleicht sogar ein Flirt.
    Hey, Judy, vielleicht kann ich die Ansichtskarte doch noch schicken! Zurück in ihrem Gästezimmer im Braithwaite, zog Lucy ihre kalten, nassen Kleider aus und legte sich aufs Bett, um in ihrem Oxford-Führer zu blättern. Sie wollte wissen, wie es am Ort mit den Franziskanern aussah. Als sie im Index nachsah, stellte sie fest, daß die Franziskaner in Oxford tatsächlich ein Kloster hatten, Greyfriars. Sie sah auf dem Stadtplan nach. Meinst du etwa …
    Lucy schlüpfte wieder in ihre Jacke, schnappte sich ihren Stadtplan und trat hinaus in den Abend. Die phosphoreszierenden, dunkelgelben Straßenlaternen beleuchteten

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