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Der dreizehnte Apostel

Der dreizehnte Apostel

Titel: Der dreizehnte Apostel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilton Barnhardt
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lese.«
    Dr. Blackwelder war ein kleiner, untersetzter Mann in beigem Wollanzug mit Fliege. Sein Gesicht war weiß und rosa, und er hätte in einem Amateurtheater jederzeit den Dr. Watson spielen können. Mit raschen Schritten ging er durchs Zimmer, überprüfte alle Türen und Schränke und sah unter Stühle und Sofas. Schließlich trat er hinter Lucy und blickte ihr über die Schulter: »Die ›Liges/Lifes‹-Kontroverse im altenglischen Phoenix und Guthlac B, von Sholto B. Renaldo, Fellow am Braithwaite College, Oxford University.« Er starrte Lucy konspirativ an: »Wollen Sie allen Ernstes behaupten, junge Dame, daß Sie etwas so Groteskes und schlecht Recherchiertes wie diese Sammlung von hochgestochenem, unzusammenhängendem Zeug lesen?« Blackwelders feistes Gesicht unterdrückte ein Lachen. Er versuchte Renaldo dazu zu bringen, sich selbst zu verraten.
    »Ihr Literaturstudenten tut mir leid«, fuhr Dr. Blackwelder fort und pirschte weiter durchs Zimmer, in die Nähe der Tür, hinter der sich Dr. Renaldo versteckte, »gezwungen, dieses nutzlose Geschwätz zu lernen, damit ein paar zweitrangige Intellektuelle auf ihren lange schon unnützen Posten hocken bleiben und Pfeifen rauchen können, die nach getrocknetem Pferdemist stinken … und damit sie im Gemeinschaftsraum den feinsten Sherry schlürfen und die kostbaren Freuden ihrer Kollegen vergeuden können.«
    »Ja, Sir«, erwiderte Lucy und versuchte, nicht zu Dr. Renaldos Versteck hinzusehen.
    »Natürlich«, setzte Blackwelder seine Tirade fort, »hatten wir hier in Braithwaite in der letzten Zeit größte Mühe gehabt, auch nur die bescheidensten Gaumenfreuden zu entdecken. Man braucht keine Bedenken zu haben, den Nektar zu verschwenden, der beim Dessert im Gemeinschaftsraum der Fellows als Sherry bezeichnet wird und der so metallisch schmeckt, als hätte man ihn in einer rostigen Wasserleitung destilliert.« Er richtete seine Schmährede jetzt an die Ecke hinter einem abgenutzten Sofa. »Ganz zu schweigen von dem verdorbenen, wurmstichigen Obst, das man uns schamlos jeden Abend vorsetzt. Verfault! Widerlich! Als hätte man es auf einer Müllkippe aufgesammelt …« Blackwelder stellte sich nun vor die Garderobentür: »Dieses brechreizerregende Aufgebot von widerlichen Süßigkeiten und altbackenen Biskuits, der garantiert schimmelige Käse – und alles hinunterzuspülen mit einem billigen Fusel, den ein vernünftiger Mensch nicht mal benutzen würde, um seinen verstopften Ausguss zu reinigen!«
    Blackwelder hatte Tränen von unterdrücktem Gelächter in den Augen. Er beobachtete Lucy, in der Hoffnung auf einen Fingerzeig. »Nein«, schloss er, »vielleicht macht so ein nutzloses Studienfach wie Angelsächsisch in unserem bereits notleidenden Commonwealth auch nichts mehr kaputt, hm? Ich werde also im Gemeinschaftsraum berichten, daß mein lieber Kollege abwesend ist, und seiner Freundin Mrs. Miggins sagen, daß wir über Themen, die ihn betreffen, abstimmen werden. Guten Tag, junge Dame.«
    Blackwelder, der seinen Spaß gehabt hatte, verschwand, und vorsichtig spähte Dr. Renaldo in einer Wolke von Pfeifenrauch aus der Garderobe. »Nichtsdestotrotz, der Sieg ist mein«, erklärte er gelassen. »Jede Stunde ohne Mrs. Miggins’ Nähe ist ein Beweis, daß es einen barmherzigen Gott gibt.«
    »Ich habe sie leider kennengelernt.«
    »Sehen Sie, worauf wir uns eingelassen haben?« fragte er und forderte seinen Stuhl zurück. »Erpicht darauf, daß irgendjemand unsere elendigliche Buch haltungsarbeit macht, haben wir das College diesen Megären ausgeliefert und kriechen vor ihnen zu
    Kreuze. Breitbeinig steht sie in der Enge des Colleges, wie der Koloss zu Rhodos! Wir geh’n winzig durch zwischen den Riesenbeinen, und jeder sucht schon sein ehrloses … Obst«, persiflierte er den Barden.
    »Also, ich danke Ihnen für die Zeit, die Sie sich genommen haben, Sir.«
    »Wollen Sie nicht …« Er staubte das Revers seines grünen Samtjacketts ab und zog verführerisch die Augenbrauen hoch. » … Wollen Sie nicht noch auf einen Schluck Whiskey bleiben? Ein kleiner Trost an diesem elenden, freudlosen Tag?«
    Sie hatte schon von den Oxforder Dozenten gehört. Fing er etwa an, ihr schlüpfrige Anträge zu machen? »Ich könnte die Heizung für uns andrehen …«
    Größ’re Liebe kennt kein Dozent in Oxford …. dachte Lucy. »Nein, vielen Dank, ich muss wirklich zurück in die Bibliothek. Aber vielen Dank.«
    »Oh, kommen Sie wieder einmal vorbei«, erklärte er

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