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Der dreizehnte Apostel

Der dreizehnte Apostel

Titel: Der dreizehnte Apostel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilton Barnhardt
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einer Heiligen Jungfrau glich, einer tugendhaften puritanischen Maid. Vor dem Hintergrund der Deckenbalken und alten Mauern betrachtete sie dieses beziehungsreiche Bild der Frömmigkeit: Würde sie widerrufen? Würde sie ungebeugt zum Scheiterhaufen schreiten? Wer weiß, ob nicht in ebendiesen Gemäuern solche Entscheidungen getroffen worden waren, ob sie nicht kummervolle Geister aus dem 16. Jahrhundert zum Leben erweckte? Sie fröstelte plötzlich und wandte sich vom Spiegel ab – genug davon! Später, nachdem sie das Licht ausgemacht und so lange am Wasserhahn gedreht hatte, bis er nicht mehr tropfte, lag sie im Bett und starrte auf das Schattenmuster auf dem schrägen Deckengebälk. Ich hasse Männer aus noch einem Grund, dachte sie: Ich hasse Männer und alle ihre Geheimbündeleien und Geheimniskrämereien, ihre Codes, Clubs und Projekte. Es würde Gabriel, Rabbi Hersch und Dr. O’Hanrahan umbringen, eine Frau zu ihrem Mantel-und-Degen-Quatsch zuzulassen, egal, welche progressiven, halbfeministischen Äußerungen von einem weiblichen Heiligen Geist et cetera sie auch von sich geben mögen.
    Schließlich tröstete sich Lucy: Das Gute daran, eine Frau zu sein, besteht darin, daß sich eine Frau von einem gewissen Zeitpunkt an einfach keinen Pfifferling mehr um etwas schert. Sie würde sich morgen Mittag mit O’Hanrahan treffen, sich seine Geschichte anhören, nach Hause fliegen und dem Fachbereich berichten, was sie dort hören wollten, ein wenig beschönigt natürlich – und damit war ihre Pflicht getan. Ein bezahlter Urlaub in England. Und, sie lächelte, ihr blieben noch ein oder zwei Tage für Besichtigungen!
    Ich werde mir London ansehen, träumte Lucy vor sich hin. Ich gehe in eine Show, ich sehe mir den Buckingham-Palast, den Tower und Big Ben an. Ich könnte aber auch nach Schottland fahren, das soll ja so großartig sein. Oder vielleicht ein paar Tage nach Frankreich, um mit meinem High-School-Französisch zu glänzen? Sie spürte, daß sie bald einschlafen würde, und sprach gähnend noch rasch ein mechanisches Gebet.
    (Besser als gar kein Gebet, das versichern Wir dir.)
    Frankreich ist eine gute Idee. Oder ich könnte natürlich auch nach Irland fahren, so wie Gabriel. Ja, das wäre ein großer Knüller für Dad und die ganzen Tanten daheim. Souvenirs aus Cork, irischer Kitsch für Mom, eine Flasche zollfreier Bushmills für Dad, alles ganz echt von der Insel. Lucy hörte die Glocken der ganzen Stadt elf Uhr schlagen. Komische Leute, diese Engländer, dachte Lucy und kuschelte sich in die Decke. Oxford ist reserviert, bürokratisch und förmlich … und trotzdem, seufzte sie, gibt es Romantik in dieser Feuchtigkeit, in diesen Steinen, im trübseligen alten Oxford. Natürlich wird sich diese Romantik nicht gerade mich als Ziel aussuchen, fügte sie wehmütig hinzu. Was für ein Tag, was für ein Tag und was für ein Gedanke: ein weiblicher Heiliger Geist. Irgendwie habe ich das immer gewusst .
    (Weil wir uns immer nahe waren, Mein Kind.)
    Diese verknöcherten, frauenlosen alten Kirchenväter haben uns Frauen ausgebootet, überlegte Lucy schläfrig. Ich würde gerne selber eine Lanze für Gott brechen.
    (Und Wir werden dir diese Chance geben.)
    VVV
     
    Zur selben Zeit sah O’Hanrahan auf seine Uhr: 23 Uhr 01. Er betrachtete seine Fahrkarte nach Holy-head, von wo aus er morgen Nachmittag die Fähre über die Irische See nehmen würde, da er grundsätzlich niemals ein Flugzeug bestieg. Aber selbst ich, dachte O’Hanrahan, werde mir wünschen, in einem Flugzeug zu sitzen, wenn ich bei diesem Wetter über diese niederträchtige Wasserfläche fahre. Es war ein bittersüßer Abschied von Oxford.
    Es gibt nichts Trostloseres als einen englischen Bahnhof nach elf Uhr abends, weil die meisten Strecken nachts nicht befahren werden, und etwas Verzweifeltes liegt über den letzten Zügen und den letzten Passagieren, die noch nicht im Bett sind oder im Pub ihr letztes Bier austrinken, sondern sich hinaus in den Regen wagen müssen. O’Hanrahan war in der kalten Dunkelheit zum Ende des Bahnsteigs spaziert, wo man Oxfords nächtliche Skyline sehen konnte, die grüne Erznadel des Nuffield College und die erleuchtete Bibliothek des Lincoln College auf der einen, St. Mary’s und Christ Church auf der anderen Seite, und er hatte sich gefragt: Sehe ich diese gesegnete Stadt nun zum letztenmal? Gottes eigener verlorener Sohn, sein stets widerspenstiges, aber intelligentestes Kind?
    (Nun mal halblang, Patrick!)
    In

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