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Der dreizehnte Apostel

Der dreizehnte Apostel

Titel: Der dreizehnte Apostel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilton Barnhardt
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bevor Sie da sind.«
    »Die bluffen nur.«
    Lucy wiederholte, Dr. Renaldo sei wirklich nicht da, und äußerte die Vermutung, er könnte ja krank sein.
    Nachdem Lucy aufgelegt hatte, fragte sie: »Ist es so schrecklich, an dieser Sitzung teilzunehmen?«
    Dr. Renaldo hielt das ansehnlich große Sherryglas gegen das graue Licht. »Allerdings. In Amerika ist das alles ganz vernünftig organisiert, nicht wahr? Man stellt Geschäftsleute ein, die die Collegegeschäf te leiten. Sicherheitskräfte, die für die Sicherheit sorgen. Die Akademiker im einen Gebäude, die Hilfskräfte im anderen. Wir armen Lehrkräfte hier in Oxford müssen eine Doppelrolle als Dekane für Disziplin, Quartiermeister, Versorgungsoffiziere und Investment Banker spielen. Ich bin, zusätzlich zu meinen anderen Arbeiten, hier in Braithwaite – einem College, liebes Mädchen, das im Niedergang begriffen ist – für das Dessert im Gemeinschaftsraum der Fellows zuständig.«
    »Ja, Sir«, nickte sie.
    »Wenn die Pfirsiche nicht reif sind, bekomme ich strenge Briefe von meinen Kollegen. Ich stehe noch immer in Ungnade wegen der widerlichen Trauben von Montagabend . Bin ich hier, um mich um den Reifegrad von Obst oder um ernsthafte Forschung zu
    kümmern?« Lucy stellte ihren fade schmeckenden Tee beiseite. »Ich wusste nicht, daß die Oxforder Fakultäten sich so einschränken müssen.«
    »Das ist der Geiz von Braithwaite, ich schwör’s Ihnen. Ich wundere mich, daß wir noch nicht die Bettwäsche wechseln und die Klos schrubben müssen. Vermutlich steht uns diese Demütigung noch bevor, also sollte ich nicht zu laut darüber reden.« Wieder läutete das Telefon.
    Lucy schlug vor, es läuten zu lassen, und Dr. Renaldo stimmte zu. Aber das Gebimmele hörte nicht auf, und schließlich bat er Lucy verärgert, den Hörer abzunehmen.
    »Nein«, begann sie, »Dr. Renaldo ist fortgegangen, glaube ich …« Dr. Renaldo schnappte sich den Hörer: »Zur Hölle, Blackwelder. In flagrante delicto, Teufel noch mal. Ich dachte, es sei abgemacht, daß wir Fellows uns nicht in die Quere kommen, wenn wir gerade im Kampf der Leidenschaften stecken …« Sein Gesicht hellte sich auf. »O hallo, Liebling, du bist es!« Seine Frau.
    »Liebling, sei ein Schatz und ruf Blackwelder an. Sag ihm, daß ich viel zu krank sei, um zu kommen, ja? Ja, ich nehme an, den Rest des Tages werde ich mich verstecken müssen. Vielleicht kannst du die Jungs rüberschicken, damit sie mich in einem Sack herausschmuggeln.« Seine Frau stimmte offenbar zu, und Dr. Renaldo legte mit zufriedenem Gesichtsausdruck auf.
    »Wegen des Andreas«, erinnerte Lucy vorsichtig.
    »O ja. Die Quelle ist eine ziemlich alte Überlieferung, die in der griechischen und keltischen Welt an verschiedenen Stellen auftaucht. Die Abenteuer des Jüngers Andreas und seines Kumpels Matthäus, des
    Evangelisten.«
    »Ja?«
    »Na ja, sie wandern herum, vollbringen Wunder, fahren übers Meer, bestehen Abenteuer und entgehen schließlich in Äthiopien gerade noch den Kannibalen.«
    Äthiopien, dachte Lucy aufgeregt. Wo Amharisch gesprochen wird; und eines der Bücher, die O’Hanrahan bestellt hatte, war auf Amharisch geschrieben. »Basiert es auf einem apokryphen Evangelium?« fragte sie.
    »Ich nehme an, es gibt eine Apostelgeschichte von Andreas, irgend so etwas. Während der Zeit der frühen Kirche und im frühen Mittelalter gab es wirklich unzählige Legenden über die Jünger. Man glaubt, daß die früheste Fassung des Andreas in Antwerpen
    liegt. Zu seiner Zeit war das Werk ein internationaler Bestseller.«
    Antwerpen. Von dort waren einige von O’Hanrahans Kreditkartenquittungen gekommen.
    »Gibt es irgendeine Verbindung nach Trier?«
    »Nicht daß ich wüsste .«
    Es klopfte an der Tür. Eine gedämpfte Stimme draußen sagte: »Ich weiß, daß Sie da drin sind, Renaldo, also geben Sie auf!«
    »Blackwelder«, formte Dr. Renaldo unhörbar mit den Lippen und erhob sich müde von seinem quietschenden Stuhl.
    »Ich höre Ihren verdammten Stuhl quietschen!« rief Dr. Blackwelder.
    Dr. Renaldo winkte Lucy, sich auf seinen Stuhl zu setzen, während er sich mit glimmender Pfeife in einem Garderobenschrank einschloss .
    Dr. Blackwelder kündigte an, er werde hereinkommen, und im nächsten Augenblick stand er auch schon in der Tür.
    »Hallo, Sir«, flötete Lucy. »Kann ich etwas für Sie tun?«
    »Wo ist er? Wo haben Sie ihn versteckt?«
    »Dr. Renaldo, Sir? Ich warte selbst auf ihn. Ich sitze an seinem Schreibtisch … und

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