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Der dreizehnte Apostel

Der dreizehnte Apostel

Titel: Der dreizehnte Apostel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilton Barnhardt
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die alten Colleges und warfen riesige Schatten von Passanten auf altes Gemäuer. Scheinwerferlicht waberte im Nebeldunst über die Straße, und das Ende der Broad Street sah aus, als könne Jack the Ripper gleich auftauchen. Alle Straßen in Oxford waren sehr still, die Pubs hatten jetzt offen, und daher war alles umso ausgestorbener. Lucy fand die richtige Straße und die Hausnummer der Greyfriars Hall, wo die Franziskaner – mitten im anglikanischen Oxford – ihre Bleibe hatten. Schließlich stand sie eingeschüchtert vor der imposanten Eichentür.
    Sie klopfte. Nichts. Vielleicht haben sie eine Frei tagabendmesse . Nach einiger Zeit hörte sie drinnen eine Reaktion auf ihr Klopfen. Ein junger Mann in Franziskanerkutte spähte durch die kaum geöffnete Tür. »Ich möchte bitte Gabriel O’Donoghue sprechen. Es ist sehr wichtig.« Der junge Mann sah sie unschuldig an. »Der Typ aus Amerika?«
    »Das ist er. Er erwartet mich.«
    Der Bettelmönch Schloss die Tür und verschwand, ohne Lucy hereinzubitten. Sie wartete ungeduldig und sah auf die Uhr. Drei Minuten später tauchte er wieder auf. »Ich glaube nicht, daß jemand da ist, der so heißt.«
    Lucy blieb hart. »Nein. Ich bin sicher, daß er hier ist, und wenn Sie ihm sagen, daß es Lucy Dantan ist, kommt er ganz bestimmt heraus.«
    »Nein, wirklich«, stammelte er, »es ist niemand da, der so heißt.« Lucy hörte weiteres Stimmengemurmel
    hinter der Tür. Aber dann rief jemand hinter ihr: »Lucy!«
    Lucy fuhr herum und sah Gabriel, der in seiner vertrauten Herbstjacke, einem T-Shirt ihrer Alma ma ter und löchrigen Jeans durch den Nebel auf sie zukam. Er aß einen Döner Kebab. Der Mönch beobachtete sie, bis Gabriel ihm zunickte, daß alles in Ordnung sei. »Was machst du hier, Lucy?«
    »Gabriel, alle haben sich solche Sorgen um dich gemacht. Monatelang hat man nichts von dir gehört!«
    Gabriel verdrehte die Augen, während er kaute. Nachdem er hinuntergeschluckt hatte, fragte er: »Hast du das schon einmal probiert? Schmeckt großartig. Man kann sich alles Mögliche drauf tun lassen …«
    »Ja, ich hab’ einen probiert. Gabriel, du musst mit mir reden.«
    »Verdammt«, murrte Gabriel zerstreut. »Das ganze Zeug tropft raus …« Er hielt seine Pitta hoch; die Serviette war voller Sauce und Tomatenmatsch. »Ich schmeiße das schnell weg …« Gabriel schlenderte zurück zur Straßenecke, wo ein Abfalleimer stand.
    Lucy folgte ihm verärgert: »Gabriel, gib mir eine Antwort. Ich bin’s, dein alter Kumpel Lucy!«
    Er warf den tropfenden Kebab in den Müll. »Zuerst du. Warum bist du hier?«
    »Der Fachbereich hat mich geschickt«, antwortete Lucy, so ruhig sie konnte. »Dr. Shaughnesy dachte schon, du wärst gekidnappt worden oder so etwas – ermordet von Dr. O’Hanrahan.«
    Gabriel hob die Hand und kaute an den Fingernägeln. »Die Möglichkeit besteht immer noch.«
    »Was ist bloß passiert zwischen euch?«
    Gabriels bewegtes Gesicht zeigte deutlich, wie er zuerst versucht war zu sprechen und dann der Versuchung widerstand, wie er erzählen wollte, aber dann beschloss , es doch nicht zu tun. »Ich kann nicht darüber sprechen, Luce. Ich verspreche dir, eines Tages erzähle ich dir die ganze Geschichte.«
    Eine tiefe Stimme drang durch den Nebel: »Bruder Gabriel?« Lucy erschrak, und sogar Gabriel zuckte zusammen. Ein Franziskaner in Ordenstracht kam auf sie zu. Ein Mönch um die Dreißig, die Kapuze über dem Kopf. Er braucht nur noch eine Sense, um wie Gevatter Tod auszusehen, dachte Lucy. Im Dämmerlicht meinte sie zu erkennen, daß er ein südländischer Typ mit dunklen Bartstoppeln war. »Bruder Vincenzo?« fragte Gabriel.
    »Deine Anwesenheit wird gewünscht«, erwiderte der Angesprochene mit leichtem Akzent. Bruder Vincenzo drehte sich um und ging wieder zurück zum Stiftshaus, hielt aber inne, um auf Gabriel zu warten. »Gabriel«, flüsterte Lucy, »bist du irgendwie in Schwierigkeiten?«
    »Nein, nein, nichts in der Art.«
    »Oh, komm schon«, bat sie. »Sag mir irgendwas, das ich in Chicago berichten kann. Ich weiß, daß O’Hanrahan irgendein verlorenes Evangelium entdeckt hat, das vielleicht authentisch ist und das jeder haben will – verstehst du? Ich weiß praktisch alles.«
    » Wusstest du, daß wahrscheinlich jemand dafür umgebracht worden ist?« Sie riss nur den Mund auf.
    Gabriel war nun am Eingang, und Bruder Vincenzo hielt ihm die Tür auf. »Warum gehst du nicht zurück nach Chicago, so schnell du kannst, und sagst, daß alles

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