Der dreizehnte Apostel
Mannes, überströmend vor Liebe zu Gott und seiner Welt:
Ich bin zu dem Glauben gelangt, daß Gott gewiss nicht leuchtender ist als eine Mutter, die für ihre Kinder sorgt, die alltäglichen Verrichtungen in der Küche, die Erntearbeit, der Frieden des häuslichen Herds. Die närrischen Menschen blicken auf zum Himmel, meine Sophia, da wir uns doch nach Erleuchtung in der Nähe, ja auch bei unseren Frauen umsehen sollten. Wie treu haben sie die Liebe gewiegt während all der langen Zeitalter, in denen wir Männer in Zungen, die Gott nicht kennt, einander gezürnt und einander verfolgt haben um Haufen dürrer Reiser; und Kiesel gegen die Stille der Nacht geschleudert haben.
Das ist, wie dir erinnerlich sein wird, aus meiner Erklärung des Kosmos, einem unreifen und schwärmerischen Werk, das gleichwohl nicht ganz ohne Verdienst ist und sich trotz oberflächlicher stilistischer Mängel in den literarischen Kreisen von Alexandrien und Ephesos einer gewissen Wertschätzung erfreut. An den Rand des Papyrus, auf dem ich dieses Zitat aus meinem Jugendwerk las, hatte Maria geschrieben, ihrer Erinnerung nach habe der Meister diese Stelle sehr geliebt.
Hosianna, so sollte ich denn am Ende, ganz zuletzt, doch noch erfahren, daß auch bei mir der Unvergleichliche etwas fand, dem Er Seine Liebe schenken konnte.
8.
Ob Sophia mir eine letzte Gnade gewährt? Sollte diese Schrift meinen Bruder Josephus bar-Matthias nicht erreichen, so möge sie doch, darum bete ich, eines Tages von einem Gelehrten wie ich gefunden werden, einer einsamen Seele, der, wie mir, die Tröstung Gottes abhanden gekom men ist, der mit der Jugend der Glaube geschwunden ist, die in der Wirrsal und dunkelnden Wildnis der Welt das Licht brüderlicher Liebe sucht. Ich lasse sie, diese Schrift, Heilige Weisheit, in Deinen fähigen Händen. Du, die Du alles vermagst!
9.
Und was habe ich jemals wirklich gewusst ! Vielleicht wird schon eben jetzt der wahre Tempel in dem Neuen Jerusalem wieder aufgerichtet.
Gamaliel und Petrus haben sich miteinander versöhnt, halten einander bei den Händen und führen unser erlöstes Volk zum Gebet! Und du, Josephus, zu uns zurückgekehrt …Ja, vielleicht bist du derjenige, der die Nazaräer aus ihren liebsten Irrtümern herausführen soll, kraft deiner Begabung zur Führerschaft (von der ich, um die Wahrheit zu sagen, Größeres erwarte, lieber Bruder, als du, wie deine doch recht mangelhaften historischen Arbeiten beweisen, auf rein wissenschaftlichem Gebiet leisten kannst.) Sei gesegnet, lieber Bruder, sei gesegnet und lebe wohl! Und öffne dich den Lehren des Meisters, und zwar ohne Zögern, heute, gleich jetzt, in diesem Augenblick. Denn das Ende der Zeit ist nahe!
Anmerkungen zu Eins
Zur Textgestaltung: Der Herausgeber hat den Text in Abschnitte gegliedert und zur Erleichterung der Lektüre interpunktiert. Die Übersetzung versucht dem Leser einen Begriff auch von dem mitunter großsprecherischen und gestelzten Stil dieser Bekenntnisse zu geben, der in manchem denjenigen des späteren byzantinischen Kirchenhistorikers Eusebius vorwegnimmt.
1 p.st.., der auch von Paulus gebrauchte Aus druck für »Glauben«. Josephus ist der jüdische Historiker »Flavius« Josephus (um 37-100 n. Chr.).
2 Eridanus ist der Strom am westlichen Rande der Welt, in den Phaeton, der unglückliche Lenker des Sonnenwagens, stürzte, nicht Helios, sein Vater.
3 Vespasian, der römische Heerführer, der im Jahre 67 n. Chr. mit der Unterwerfung Judäas begann und später Kaiser wurde (69 -79 n. Chr.), der erste der Fla vier.
4 Aliturius, ein jüdischer Schauspieler, trat in Rom auf und war ein großer Günstling (sowie überdies vielleicht auch Beischläfer) Neros. Der Verfasser will sagen, daß Josephus sich als Römer gab und damit kein geringerer Verräter war als Aliturius. Im Jahre 67 n. Chr. befehligte Josephus in Galiläa die jüdischen Truppen gegen die Römer und geriet zu Jotapata in Gefangenschaft. Während seiner Gefangenschaft prophezeite er Vespasian die Erhebung auf den kaiserlichen Thron, was ihm, als die Prophezeiung eintraf, die Gunst des Kaisers sicherte. Aus der Gefangenschaft entlassen, schloss er sich als Dolmetscher dem Heer des Titus an, der nach langer Belagerung im Jahre 70 n. Chr. Jerusalem eroberte und den Tempel zerstörte.
Eine Erörterung des angeblichen Verrats der jüdischen Sache durch Josephus und der Erwiderung desselben auf die Angriffe des Justus von Tiberias findet der
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