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Der dritte Berg

Der dritte Berg

Titel: Der dritte Berg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J.F. Dam
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den Blick dabei am Boden. Ich löse mich von meiner Bank und schleiche den beiden im Schatten der Palmen nach. Von einem Baumstamm zum nächsten. Trotz der leichten Brise fange ich an, aus allen Poren zu schwitzen. Ich muss annehmen, dass die beiden über Christians Projekt sprechen. Mehrmals ist die Rede von Beweisen. Dann kehrt einen Moment Stille ein und das nächste, das ich höre, ist das Wort Sikkim . Wohin? , fragt Schmithausen, worauf Maettgen wieder mit Sikkim antwortet und dazu ratlos die Hände hochreißt, als bedaure er, es nicht genauer zu wissen. Sikkim ist ein kleiner, indischer Bundesstaat nördlich von hier, er liegt zwischen Nepal und Bhutan. Nichts als Berge und Wälder gibt es dort. Jetzt fliegen durch den Wind noch ärgerliche, zerfranste Worte aus Schmithausens Mund zu mir herüber, die ich nicht verstehen kann. Vielleicht ist das Wort blindgläubig dabei, vielleicht heißt es auch blindwütig . Ich versuche, näher heranzukommen, indem ich etwas schneller schleiche, als die beiden gehen, also einen kleinen Vorsprung heraushole, mich von der Palmenreihe löse und am Sockel eines Pflanzenbeetes vorbei zu einer Betonbank krieche. Ich presse mich hinter die Bank. Inzwischen ist mir ganz schummrig vor Müdigkeit und dem heißfeuchten Druck der Vormonsunnacht.
    »… könnte er ja doch sein«, sagt Schmithausen, als sie an mir vorübergehen.
    »Unsinn!«, ruft Maettgen; ich sehe, wie er wieder eine Hand in die Luft schleudert, »Sie wissen so gut wie ich – eine Schimäre.«
    Schmithausen bleibt ruhig und sagt noch ein paar Worte, die ich nicht verstehen kann. Die beiden sind fast an mir vorüber. Ich luge über die Bank.
    Maettgen bleibt stehen und starrt Schmithausen mit offenem Mund an.
    »Er benutzt ihn«, sagt Schmithausen, der bloß einen zögerlichen Schritt einlegt und nicht anhält.
    »Mag sein«, sagt Maettgen hinter Schmithausens Rücken, »und Sie werden es in jedem Fall bereuen, Schmithausen.«
    Maettgen schließt zu Schmithausen auf, sie gehen etwas schneller. Ich muss von meiner Verfolgung ablassen, nicht nur weil meine Knie anfangen wegzuknicken. Ein paar Fitnessgeräte, die man an der Promenade aufgestellt hat, hätten mich gezwungen, entweder rückwärts hinaus auf die Straße zu gehen oder meine Deckung aufzugeben.
    Ich blicke den beiden nach. Sie werden wieder zu dem ungleichen Paar von vorhin. Ich weiß nicht, was ich gerade erfahren habe. Wer ist er ? Immerhin Sikkim. Ein Wort, das mein nächtliches Abenteuer rechtfertigt.
    Der Wind hat sich jetzt ganz gelegt und die schwüle Hitze gießt sich wie ein noch heißerer Schauer herab. Bevor sie Augenblicke später unbeweglich um mich steht. Fünfzig Meter weiter vorne, in Richtung des Oberoi, verabschieden sich Maettgen und Schmithausen voneinander. Maettgen geht auf die Palmen zu und verschwindet auf dem Bay-of-Bengal-Drive. Und Schmithausen, inzwischen bestimmt auch nassgeschwitzt, schreitet rasch auf die rettenden Klimaanlagen des Oberoi zu.
    Ich bleibe stehen. Die Welt um mich legt ein sonderbares Verhalten an den Tag. Meine Knie sind unbrauchbar, die Speichelproduktion legt zu. Ich lasse mich auf eine Bank fallen und schaffe es kaum noch, aufrecht zu sitzen. Ich versuche nachzudenken. Mein Gehirn aber, es macht schlapp. Der Monsun, er kann in dich kriechen und dich irre machen. Der Monsun, der auf den indischen Subkontinent drückt mit Titanenkraft, er kann Dinge geschehen lassen. Sein Kommen ist ein wochenlanges Einsickern des Anderen. Ich lege mich einen Augenblick hin. Meine Gedanken bewegen sich in unangenehmen, wilden Spiralen. Über mir stehen achtzehn Kilometer tonnenschwere, feuchte Subtropenluft, die alle Kraft aus mir pressen.
    Schlangen trippeln durch die Kanalnetze, Priester haben Visionen und die Kastenlosen jagen morgen wieder Ratten. Der Monsun quillt und sickert, in Poren, Steine, verlauste Felle, er schlängelt sich, lässt Fabeltiere erstehen und er hätte ganz Í-Í-Índia (o ja, auch Fernão Pinto ist bei mir) an der Hand in den Wahnsinn geführt, wäre es nicht seit Jahrtausenden geübt im Bändigen der Monsunbiester.
    Fortwährend muss ich schlucken. Ein Alarmzeichen. Bevor es zu spät ist, rapple ich mich hoch und schaffe den Weg zum Hotel. Dabei ist mir, als irrte ich in einem Traum durch Reihen von dunklen Tüchern.
    Erst die Klimaanlage, ein halber Liter Tee und ebenso viel Wasser retten meinen Körper vor dem Kollaps; sie holen mich aus dem Irrsinn der bengalischen Sommernacht.

GEGEN SIEBEN UHR

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