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Der dritte Mond

Der dritte Mond

Titel: Der dritte Mond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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wies wieder Sauerstoff auf  – vielleicht nicht mehr als auf dem Gipfel des Mount Everest, aber genug, um am Leben zu bleiben. Charity konnte nicht sagen, wie lange es dauerte – wahrscheinlich nur Sekunden, allerhöchstens eine Minute –, bevor sich die blutigen Schleier vor ihren Augen lichteten und sie wieder das Gefühl hatte, mehr als nur Vakuum in ihre Lungen zu saugen. Sie hatte heftige Schmerzen, nicht nur in der Brust, sondern praktisch überall, und ihr Kopf fühlte sich an, als wollte er jeden Augenblick explodieren. Als sie versuchte, sich in die Höhe zu stemmen, brauchte sie drei Anläufe. Skudder und Charity kamen praktisch im gleichen Moment auf die Füße. Der Indianer sagte irgend etwas, doch Charity sah nur, wie seine Lippen sich bewegten. Sie war jetzt nicht mehr taub, aber in ihren Ohren war nun ein dumpfes Rauschen und Hämmern, das jeden anderen Laut einfach verschluckte. Charity schüttelte den Kopf und deutete mit beiden Zeigefingern auf ihre Ohren, und Skudder antwortete mit einem knappen Nicken. Wahrscheinlich erging es ihm nicht anders als ihr. Hinter ihm bemühte sich Hartmann mit ungeschickten, aber hartnäckigen Bewegungen, sich auf die Knie hochzustemmen, und auch Drasko und der überlebende Techniker regten sich bereits wieder, so daß Charity als erstes zu den beiden reglos daliegenden Soldaten eilte. Die Männer waren bewußtlos, aber noch am Leben. Der Angreifer hatte darauf verzichtet, sie zu töten, obwohl Charity wußte, daß er es mit der gleichen Mühelosigkeit gekonnt hätte, mit der er sie niedergeschlagen hatte. Aus irgendeinem Grund erschien ihr dieser Umstand wichtig, obwohl sie nicht sagen konnte, warum. In das Rauschen und Hämmern in ihren Ohren mischte sich jetzt ein weiterer Laut: ein dünnes, an- und abschwellendes Singen, das sie trotz allem als das Heulen der Alarmsirene identifizierte. Charity stand wieder auf und schaute sich um. Der Kommandoraum war vollkommen verwüstet. Die Hälfte der Monitore und Computer war ausgefallen oder zerstört, und der Tornado hatte alles, was nicht niet- und nagelfest war, durcheinandergewirbelt. Der ganze Zwischenfall hatte weniger als fünf Sekunden gedauert, aber der Raum sah aus, als hätte eine zweistündige Schlacht darin getobt. Jemand berührte Charity an der Schulter. Sie fuhr mit einer übertrieben heftigen Bewegung herum und blickte in Gouverneur Draskos Gesicht. Er bot einen furchtbaren Anblick. Die kleinen Äderchen in seinem Gesicht und seinen Augen waren geplatzt, so daß sein Teint jetzt dem Skudders glich, und er mußte sich beim Sturz verletzt haben, denn seine Unterlippe blutete heftig. Seiner Mimik und den Lippenbewegungen nach zu schließen redete er nicht mit ihr, sondern schrie sie an, aber sie konnte immer noch nicht gut genug hören, um ihn zu verstehen. Nicht, daß Charity besonderen Wert darauf gelegt hätte. Trotzdem hob sie nach einer Sekunde die Hand, drückte ihre Nasenflügel zusammen und versuchte gleichzeitig mit aller Kraft, durch die Nase auszuatmen. Der alte Trick, der ihr auf unzähligen Interkontinentalflügen geholfen hatte, funktionierte auch diesmal: Ihre Trommelfelle knackten, und mit einem Mal konnte sie wieder hören. Das Gellen der Alarmsirene und Draskos Gebrüll vermischten sich zu einem solchen Lärm, daß sie das Gesicht verzog. »Gouverneur, bitte!« sagte sie. »Wenn Sie es so machen wie ich, dann brauchen Sie nicht zu schreien. Und wir alle verlieren unser Gehör nicht sofort wieder.« Drasko hatte offensichtlich kein Wort verstanden, denn er blickte sie nur verwirrt an, aber er tat ihr immerhin den Gefallen und hielt für einen Moment die Klappe, so daß sie ihm mit Gesten zu verstehen geben konnte, was sie meinte. Drasko tat, was Charity ihm bedeutete, und blickte sie dann noch erstaunter an. »Das funktioniert ja wirklich«, sagte er. Charity grinste. »Sie hätten öfter billige Pauschalreisen in Flugzeugen mit schlechtem Druckausgleich buchen sollen, dann würden sie alle diese Tricks kennen.« Draskos Gesicht wurde noch verständnisloser, doch bevor er etwas sagen konnte, flogen die Aufzugtüren auf, und ein halbes Dutzend schwerbewaffneter Soldaten stürzte herein. Charity erstarrte ebenso wie Skudder und Hartmann zur Regungslosigkeit. Die Männer hatten den Alarm gehört und vermutlich auch mitbekommen, daß hier drinnen irgend etwas nicht stimmte. Sie waren angespannt und auf alles gefaßt. Und Charity wußte aus Erfahrung, daß es nichts

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