Der dritte Schimpanse
Kosten, Gefahren oder Belastungen verbunden ist, die sich nur überlegene Individuen leisten können. Viele Tiersignale, die uns sonst kontraproduktiv erschienen – wie das seltsame Sprungverhalten der Gazellen oder die aufwendigen Körperteile und gefährlichen Darbietungen, mit denen Männchen um Weibchen werben –, erhalten vor diesem Hintergrund ihren Sinn.
Mir scheint, dieser Sachverhalt steht nicht nur hinter der Evolution der Kunst, sondern auch hinter dem Miß-brauch chemischer Substanzen durch den Menschen. Beides sind typische Merkmale unserer Spezies, die aus den meisten Kulturen bekannt sind. Und beide sind erklärungsbedürftig, da es nicht unmittelbar einleuchtet, wie sie über die natürliche Selektion zum Überleben oder über die sexuelle Selektion zur Partnergewinnung beitragen. In Kapitel 9 hatte ich ausgeführt, daß Kunst oft als Indikator für das Prestige oder die Überlegenheit eines Individuums dient, da man bestimmte Fähigkeiten besitzen muß, um Kunstwerke selbst zu produzieren, bzw. Prestige und Reichtum, um sie zu erwerben. Dabei gewinnen Individuen, denen von anderen Prestige zugeschrieben wird, wiederum leichteren Zugang zu Ressourcen und Partnern. Ich habe in diesem Kapitel dargelegt, daß Menschen neben der Kunst noch auf vielerlei andere kostspielige Weise nach Prestige trachten und daß manchmal (wie beim Springen von Türmen, schnellen Fahren und beim Mißbrauch chemischer Substanzen) überraschend große Gefahren im Spiel sind. Dabei signalisieren die kostspieligen Darbietungen Prestige und Wohlstand, während die gefährlichen die Überlegenheit des Individuums beweisen sollen, das sie übersteht.
Ich behaupte allerdings nicht, daß sich Kunst und Mißbrauch chemischer Substanzen auf diese Weise vollständig erklären ließen. Wie ich bereits in Kapitel 9 über die Kunst sagte, entwickeln komplexe Verhaltensweisen ein Eigenleben, das sich vom ursprünglichen Zweck (falls es ihn je gab) oft weit entfernt, oder sie hatten von vornherein mehrere Funktionen. Ebenso wie Kunst heute viel stärker durch den Wunsch nach Erbauung motiviert ist als durch die Notwendigkeit, etwas zu signalisieren, hat auch der Mißbrauch chemischer Substanzen eindeutig mehr als nur eine Signalfunktion. Man baut Hemmungen ab, ertränkt seine Sorgen oder hat einfach nur Freude am Geschmack.
Ich will auch nicht abstreiten, daß selbst aus evolutionsgeschichtlicher Perspektive ein grundlegender Unterschied zwischen dem menschlichen Mißbrauch chemischer Substanzen und den Parallelen im Tierreich besteht. Die Sprünge der Gazelle beim Herannahen eines Löwen, lange Vogelschwänze und all die anderen erwähnten Beispiele sind mit Kosten verbunden. Ihnen steht allerdings immer ein größerer Nutzen gegenüber, der ja erst das Fortbestehen dieser Verhaltensweisen ermöglicht. Die Gazelle mag zwar einen Teil ihres Vorsprungs verlieren, erzielt aber andererseits einen Vorteil, da die Wahrscheinlichkeit sinkt, daß der Löwe sie überhaupt ernsthaft verfolgt. Ein langer Schwanz mag ein Vogelmännchen bei der Futtersuche und der Flucht vor natürlichen Feinden behindern, doch dieser durch natürliche Selektion entstandene Nachteil im Daseinskampf wird durch die Vorteile bei der Balz aufgrund der sexuellen Selektion mehr als wettgemacht. Im End effekt sind mehr Nachkommen da, die seine Gene tragen, nicht weniger. Tierische Merkmale wie diese sind also nur scheinbar selbstzerstörensch ; in Wirklichkeit fördern sie die Verbreitung der Erbanlagen ihres Trägers.
In unserem Fall ist es jedoch anders : Die Kosten des Mißbrauchs chemischer Stoffe sind höher als der Nutzen. Drogenabhängige und Trinker leben nicht nur kürzer, sondern verlieren zudem in den Augen potentieller Partner an Attraktivität und büßen die Fähigkeit ein, für Kinder zu sorgen. Daß diese Verhaltensweisen dennoch fortbestehen, liegt nicht an versteckten Vorteilen, die ihre Nachteile aufwiegen, sondern hauptsächlich an ihrer suchterzeugenden Wirkung. Alles in allem handelt es sich um selbstzerstörerische Verhaltensweisen, die der Ausbreitung der Gene der Betroffenen nur im Wege stehen. Gazellen mögen sich bei ihren Hüpfmanövern zuweilen verrechnen, aber sie begehen nicht etwa Selbstmord, weil sie süchtig nach der beim Hüpfen empfundenen Erregung wären. In dieser Hinsicht unterscheidet sich der Mißbrauch chemischer Substanzen durch Menschen von seinen
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