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Der dritte Schimpanse

Der dritte Schimpanse

Titel: Der dritte Schimpanse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jared Diamond
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Kosten, Gefahren oder Belastungen verbunden ist, die sich nur überlegene Individuen leisten können. Viele Tiersignale, die uns sonst kontraproduktiv erschienen – wie das selt­same Sprungverhalten der Gazellen oder die aufwen­digen Körperteile und gefährlichen Darbietungen, mit denen Männchen um Weibchen werben –, erhalten vor diesem Hintergrund ihren Sinn.
    Mir scheint, dieser Sachverhalt steht nicht nur hinter der Evolution der Kunst, sondern auch hinter dem Miß-brauch chemischer Substanzen durch den Menschen. Beides sind typische Merkmale unserer Spezies, die aus den meisten Kulturen bekannt sind. Und beide sind er­klärungsbedürftig, da es nicht unmittelbar einleuch­tet, wie sie über die natürliche Selektion zum Überle­ben oder über die sexuelle Selektion zur Partnergewin­nung beitragen. In Kapitel 9 hatte ich ausgeführt, daß Kunst oft als Indikator für das Prestige oder die Über­legenheit eines Individuums dient, da man bestimm­te Fähigkeiten besitzen muß, um Kunstwerke selbst zu produzieren, bzw. Prestige und Reichtum, um sie zu er­werben. Dabei gewinnen Individuen, denen von ande­ren Prestige zugeschrieben wird, wiederum leichteren Zugang zu Ressourcen und Partnern. Ich habe in die­sem Kapitel dargelegt, daß Menschen neben der Kunst noch auf vielerlei andere kostspielige Weise nach Pre­stige trachten und daß manchmal (wie beim Springen von Türmen, schnellen Fahren und beim Mißbrauch chemischer Substanzen) überraschend große Gefahren im Spiel sind. Dabei signalisieren die kostspieligen Dar­bietungen Prestige und Wohlstand, während die gefähr­lichen die Überlegenheit des Individuums beweisen sol­len, das sie übersteht.
    Ich behaupte allerdings nicht, daß sich Kunst und Mißbrauch chemischer Substanzen auf diese Weise voll­ständig erklären ließen. Wie ich bereits in Kapitel 9 über die Kunst sagte, entwickeln komplexe Verhaltenswei­sen ein Eigenleben, das sich vom ursprünglichen Zweck (falls es ihn je gab) oft weit entfernt, oder sie hatten von vornherein mehrere Funktionen. Ebenso wie Kunst heu­te viel stärker durch den Wunsch nach Erbauung moti­viert ist als durch die Notwendigkeit, etwas zu signali­sieren, hat auch der Mißbrauch chemischer Substanzen eindeutig mehr als nur eine Signalfunktion. Man baut Hemmungen ab, ertränkt seine Sorgen oder hat einfach nur Freude am Geschmack.
    Ich will auch nicht abstreiten, daß selbst aus evoluti­onsgeschichtlicher Perspektive ein grundlegender Un­terschied zwischen dem menschlichen Mißbrauch che­mischer Substanzen und den Parallelen im Tierreich be­steht. Die Sprünge der Gazelle beim Herannahen eines Löwen, lange Vogelschwänze und all die anderen erwähn­ten Beispiele sind mit Kosten verbunden. Ihnen steht al­lerdings immer ein größerer Nutzen gegenüber, der ja erst das Fortbestehen dieser Verhaltensweisen ermög­licht. Die Gazelle mag zwar einen Teil ihres Vorsprungs verlieren, erzielt aber andererseits einen Vorteil, da die Wahrscheinlichkeit sinkt, daß der Löwe sie überhaupt ernsthaft verfolgt. Ein langer Schwanz mag ein Vogel­männchen bei der Futtersuche und der Flucht vor natür­lichen Feinden behindern, doch dieser durch natürliche Selektion entstandene Nachteil im Daseinskampf wird durch die Vorteile bei der Balz aufgrund der sexuellen Selektion mehr als wettgemacht. Im End effekt sind mehr Nachkommen da, die seine Gene tragen, nicht weniger. Tierische Merkmale wie diese sind also nur scheinbar selbstzerstörensch ; in Wirklichkeit fördern sie die Ver­breitung der Erbanlagen ihres Trägers.
    In unserem Fall ist es jedoch anders : Die Kosten des Mißbrauchs chemischer Stoffe sind höher als der Nut­zen. Drogenabhängige und Trinker leben nicht nur kür­zer, sondern verlieren zudem in den Augen potentiel­ler Partner an Attraktivität und büßen die Fähigkeit ein, für Kinder zu sorgen. Daß diese Verhaltensweisen den­noch fortbestehen, liegt nicht an versteckten Vorteilen, die ihre Nachteile aufwiegen, sondern hauptsächlich an ihrer suchterzeugenden Wirkung. Alles in allem handelt es sich um selbstzerstörerische Verhaltensweisen, die der Ausbreitung der Gene der Betroffenen nur im Wege ste­hen. Gazellen mögen sich bei ihren Hüpfmanövern zu­weilen verrechnen, aber sie begehen nicht etwa Selbst­mord, weil sie süchtig nach der beim Hüpfen empfun­denen Erregung wären. In dieser Hinsicht unterscheidet sich der Mißbrauch chemischer Substanzen durch Men­schen von seinen

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