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Der dritte Schimpanse

Der dritte Schimpanse

Titel: Der dritte Schimpanse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jared Diamond
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aller Ruhe das Kerosin und war am näch­sten Morgen so glücklich und bei so gutem Befinden wie immer.
    Ich kann kaum glauben, daß das Kerosin Ardys Ge­sundheit nicht schadete. Kannte er denn keine harm­losere Methode, seine körperliche Form periodisch zu testen? Doch für Ardy und die anderen Kung-Fu-Mei­ster diente das Kerosintrinken als Indikator ihrer Kraft und ihres fortgeschrittenen Leistungsstands im Kung-Fu. Nur ein wahrhaft robuster Mensch konnte den Test überstehen. Das Kerosintrinken veranschaulicht die Handikap-Theorie des Gebrauchs gift iger Substanzen in einer Form, die uns ungefähr genauso bestürzt, wie Zi­garetten und Alkohol Ardy mit Abscheu erfüllen.
    Im letzten Beispiel will ich meine Theorie nun auch auf die Vergangenheit ausdehnen, und zwar auf die Zivili­sation der Mayas, die vor ein- bis zweitausend Jahren in Mittelamerika in Blüte stand. Archäologen waren faszi­niert davon, daß mitten im tropischen Regenwald eine hochentwickelte Gesellschaft entstanden war. Viele Er­rungenschaften der Mayas wie ihr Kalender, ihre Schrift , ihre astronomischen Kenntnisse und ihre Landwirt­schaft sind weitgehend erforscht. Gerätselt wurde jedoch lange über den Zweck jener dünnen Röhren, die immer wieder bei Ausgrabungen auftauchten.
    Ihre Bedeutung wurde erst ersichtlich, als man be­malte Vasen fand, auf denen Szenen abgebildet waren, in denen die Röhren vorkamen : Sie dienten zur Verab­reichung rauscherzeugender Einläufe. Auf den Vasenbil­dern erhielt eine ranghohe Persönlichkeit, offenbar ein Priester oder Prinz, vor den Augen anderer einen zere­moniellen Einlauf. Die Einlaufröhre führt zu einem Be­hälter mit einem schaumigen, bierähnlichen Getränk, das vermutlich Alkohol oder Halluzinogene oder beides enthält, worauf die Praktiken anderer Indianerstämme hindeuten. Viele mittel- und südamerikanische Stämme hatten ähnliche Bräuche, als die ersten europäischen Ent­decker eintrafen, und manche halten noch heute daran fest. Das Spektrum verwendeter Sub stanzen reicht von Alkohol (hergestellt durch Fermentierung von Agaven­saft oder einer Baumrinde) über Tabak bis hin zu Peyotl (Mescalin), LSD-Derivaten und aus Pilzen gewonnenen Halluzinogenen. Der zeremonielle Einlauf gleicht somit der bei uns üblichen oralen Einnahme von Rauschmit­teln; es sprechen jedoch vier Gründe dafür, daß ein Ein­lauf ein viel wirksamerer Indikator für Stärke ist als das Trinken.
    Erstens kann man sich zum Trinken an einen abge­schiedenen Ort begeben und so die Gelegenheit verpas­sen, anderen seinen hohen Rang zu signalisieren. Dage­gen ist es für einen einzelnen viel mühsamer, sich das gleiche Getränk ohne fremde Hilfe als Einlauf zu ver­abreichen. Einläufe eignen sich eher als Gruppenerleb­nis und schaffen so automatisch Gelegenheit zur Selbst­darstellung. Zweitens erfordert es mehr Stärke, Alko­hol als Einlauf zu konsumieren, als ihn zu trinken, da er ja vom Darm direkt in die Blutbahn gelangt, statt erst im Magen mit vorher Gegessenem verdünnt zu werden. Drittens passieren im Dünndarm absorbierte Stoffe bei Nahrungsaufnahme durch den Mund zunächst die Le­ber, wo viele entgiftet werden, bevor sie das Gehirn und andere empfindliche Organe erreichen können. Im Un­terschied dazu umgehen rektal in den Körper gelangende Substanzen die Leber. Und viertens sind der münd­lichen Flüssigkeitsaufnahme durch den Brechreiz Gren­zen gesetzt, ebenfalls im Unterschied zum Einlauf. Das alles zeigt, daß sich Einläufe viel besser zur Signalisie­rung von Überlegenheit eignen als das, was in der be­kannten Whiskyreklame gezeigt wird. Ich kann die­ses Konzept jeder ambitionierten PR-Agentur, die das Werbe budget einer großen Schnapsbrennerei im Visier hat, daher nur wärmstens empfehlen.
    Lassen Sie uns nun einen Schritt zurücktreten und ein Fazit ziehen. Die regelmäßige Anwendung chemischer Substanzen gegen den eigenen Körper mag zwar eine Besonderheit des Menschen sein, sie fügt sich jedoch in ein breites Muster tierischer Verhaltensweisen ein und hat somit zahllose Parallelen im Tierreich. Alle Arten standen vor dem Problem, Signale zur schnellen Über­mittlung von Botschaften an andere Tiere zu entwickeln. Handelte es sich um solche, die jedes Tier meistern oder erwerben konnte, war es um die Glaubwürdigkeit schlecht bestellt. Um wirksam und glaubhaft zu sein, muß ein Signal die Ehrlichkeit des Signalgebers verbür­gen, und das geschieht am besten, indem es mit

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