Der dritte Schimpanse
Tragödien, und ihr Vermächtnis von Kolonialismus und Unterwerfung prägt noch heute unsere Welt. Bis es gelingt, eine überzeugende alternative Erklärung zu finden, wird der Verdacht weiterschwelen, an den rassistischen Theorien könnte doch etwas dran sein.
Ich werde in diesem Kapitel darlegen, daß Unterschiede zwischen den Kontinenten im kulturellen Entwicklungsstand auf die Folgen geographischer Gegebenheiten für die Ausbildung unserer kulturellen Besonderheiten zurückzuführen und keineswegs genetisch bedingt sind. Die Kontinente unterschieden sich in den für die Entwicklung der Zivilisation wesentlichen Ressourcen – hauptsächlich den wilden Pflanzen- und Tierarten, die sich zur Domestikation eigneten. Unterschiede gab es auch darin, wie leicht oder schwer sich domestizierte Arten von einem Gebiet ins andere ausbreiten konnten. Selbst heute ist Amerikanern und Europäern schmerzlich bewußt, welchen Einfluß geographische Besonderheiten in entfernten Regionen, wie dem Persischen Golf oder dem Isthmus von Panama, auf unser Leben haben. Doch Geographie und Biogeographie prägten das Leben des Menschen über Hunderttausende von Jahren noch sehr viel tiefgreifender.
Warum ich soviel Wert auf Pflanzenund Tierarten lege? Der Biologe J. B. S. Haldane bemerkte einmal: »Die Zivilisation gründet nicht nur auf Menschen, sondern auch auf Pflanzen und Tieren.« Ackerbau und Viehzucht hatten zwar auch die in Kapitel 10 erörterten Nachteile, sie erlaubten es jedoch einer viel größeren Zahl von Menschen, sich pro Hektar Land zu ernähren, als zuvor auf der gleichen Fläche allein vom Angebot der Natur leben konnten. Die Lagerung der Überschüsse der bäuerlichen Produktion ermöglichte es anderen, sich ganz der Metallurgie, dem Handwerk, der Schriftstellerei – oder dem Dienst in Berufsarmeen zu widmen. Domestizierte Tiere lieferten nicht nur Fleisch und Milch, sondern auch Wolle und Fell für die Kleidung sowie Energie für den Transport von Personen und Gütern. Außerdem dienten sie als Zugtiere für Pflüge und Lastkarren und bewirkten so eine erhebliche Steigerung der landwirtschaftlichen Produktivität gegenüber früher, als noch die Muskelkraft des Menschen allein zählte.
Infolge dieser Entwicklung wuchs die Weltbevölkerung von rund zehn Millionen um 10 000 v. Chr., als noch die ganze Menschheit vom Jagen und Sammeln lebte, auf über fünf Milliarden in der Gegenwart. Eine hohe Bevölkerungsdichte war die Voraussetzung für die Entstehung zentralistischer Staatsgebilde. Sie forderte auch die Evolution von Infektionskrankheiten, die bei den betroffenen Bevölkerungen die Bildung von Abwehrkräften auslöste, bei anderen jedoch nicht. All diese Faktoren entschieden darüber, wer wen kolonisierte und unterwarf. Die Gründe für die Eroberung Amerikas und Australiens durch Europäer waren nicht deren bessere Gene, sondern ihre schlimmeren Krankheitserreger (vor allem Pocken), höherentwickelten Technologien (besonders Waffen und Schiffe), ihre schriftliche Informationsspeicherung und politischen Organisationsformen – alles letztlich Folgen geographischer Unterschiede zwischen den Kontinenten.
Beginnen wir mit den Unterschieden bei den Haustieren. Um 4000 v. Chr. besaß das westliche Eurasien bereits seine fünf klassischen Haustiere, die noch heute die wichtigste Rolle spielen: Schaf, Ziege, Schwein, Rind und Pferd. In Ostasien wurden vier weitere Rinderarten domestiziert: Yak, Wasserbüffel, Gaur und Banteng. Wie bereits gesagt, lieferten diese Tiere Nahrung, Energie und Kleidung, und das Pferd war überdies von unschätzbarem militärischen Wert. (Bis ins 19. Jahrhundert war es Panzer, Lastwagen und Jeep zugleich.) Warum machten es die Indianer nicht wie die Eurasier, indem sie vergleichbare amerikanische Säugetiere wie Bergschaf, Schneeziege, Nabelschwein, Bison und Tapir domestizierten ? Warum fielen nicht Indianer auf Tapiren und Australier auf Känguruhs in Eurasien ein und terrorisierten seine Bewohner ?
Die Antwort lautet, daß es bis heute nicht gelungen ist, mehr als nur einen winzigen Bruchteil aller Säugetierarten, die es auf der Erde gibt, zu domestizieren. Man braucht sich bloß die vielen gescheiterten Versuche vor Augen zu führen. Unzählige Arten nahmen die erste Hürde und wurden als zahme Haustiere gehalten. In den Dörfern Neuguineas sehe ich immer wieder zahme Opossums und Känguruhs, und in
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