Der dritte Schimpanse
der Rouffaer, einem Fluß in Neuguinea, arbeitete, hatten Missionare in der Nähe gerade einen Stamm von mehreren hundert Nomaden entdeckt, die von einem weiteren bisher unbekannten Stamm fünf Tagereisen flußaufwärts berichteten. Kleinere Gruppen kamen auch in abgelegenen Teilen Perus und Brasiliens noch mehrfach zum Vorschein. Wir können aber davon ausgehen, daß es noch vor Beginn des 21. Jahrhunderts zum letzten Erstkontakt kommen wird und damit zum Ende des letzten eigenständigen Experiments zur Gestaltung des menschlichen Zusammenlebens.
Dieser letzte Erstkontakt bedeutet zwar nicht das Ende der kulturellen Vielfalt, die sich als weitgehend resistent gegen Fernsehen und Tourismus erweist, aber gewiß ein drastisches Schmälerwerden des Spektrums. Dieser Verlust ist aus den genannten Gründen beklagenswert. Doch unsere Feindseligkeit gegenüber Fremden war nur so lange tolerierbar, wie die Waffen, mit denen wir uns gegenseitig umbringen, noch nicht ausreichten, um unseren Untergang als Spezies herbeizuführen. Wenn ich mir vorzustellen versuche, warum Atomwaffen im Zusammenspiel mit unserem Hang zum Genozid nicht unausweichlich die in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts aufgestellten Rekorde brechen werden, erscheint mir der beschleunigte Prozeß der kulturellen Homogenisierung als einer der Hauptgründe für Optimismus. Mag sein, daß die kulturelle Vielfalt der Preis für das Überleben der Menschheit ist.
Kapitel 14
Zufällige Eroberer
Zuweilen sind es die alltäglichsten Sachverhalte, die Wissenschaftler vor die schwierigsten Fragen stellen. Wenn Sie sich heute in den USA oder in Australien umblicken, werden Sie fast überall feststellen, daß die meisten Menschen europäischer Abstammung sind. Hätten Sie die gleichen Orte vor 500 Jahren besucht, wären Ihnen ausnahmslos Indianer bzw. australische Ureinwohner begegnet. Wie kam es, daß die Europäer fast gänzlich den Platz der eingeborenen Populationen Nordamerikas und Australiens einnahmen und nicht umgekehrt Indianer oder Australier an die Stelle der ursprünglichen europäischen Population traten?
Diese Frage läßt sich auch so formulieren : Warum verlief die technologische und politische Entwicklung in vergangenen Epochen am schnellsten in Eurasien, langsamer in Nord- und Südamerika (und in Afrika südlich der Sahara) und am langsamsten in Australien ? Im Jahre 1492 benutzte ein Großteil der Bevölkerung Eurasiens Eisenwerkzeuge, verfügte über eine Schrift, kannte die Landwirtschaft, lebte in großen Staatsgebilden mit zentralistischer Herrschaftsstruktur, deren Schiffe die Meere berühren, und stand an der Schwelle zur Industrialisierung. In Nord- und Südamerika gab es nur Landwirtschaft, wenige größere zentralistische Staaten, ein einziges Gebiet mit einer Schrift und weder ozeantüchtige Schiffe noch Eisenwerkzeuge ; technologisch und politisch lag der Doppelkontinent Jahrtausende hinter Eurasien zurück. In Australien kannte man weder Landwirtschaft noch Schrift, Staaten oder Schiffe ; die verwendeten Steinwerkzeuge glichen denen, die in Eurasien mehr als zehntausend Jahre zuvor verbreitet waren. Solche technologischen und politischen Unterschiede – nicht etwa biologische wie jene, die im Tierreich über den Ausgang von Wettkämpfen zwischen Populationen entscheiden – waren es, die den Europäern das Vordringen zu anderen Kontinenten ermöglichten.
Die Europäer des 19. Jahrhunderts hatten für solche Fragen eine einfache, rassistische Antwort parat. Sie meinten, daß ihr kultureller Vorsprung auf höherer Intelligenz beruhte und es deshalb ihre Bestimmung war, »niedere« Völker zu unterwerfen, zu vertreiben oder zu töten. Diese Antwort war nicht nur selbstgerecht und beschämend, sondern auch schlicht falsch. Wie jeder weiß, unterscheiden sich Menschen je nach den Umständen ihres Aufwachsens sehr stark in der Art und im Grad des erworbenen Wissens. Doch trotz großer Anstrengungen wurden noch keine schlagenden Beweise für genetisch bedingte Unterschiede in der geistigen Begabung der Völker gefunden.
Aufgrund dieser rassistischen Hypothek ist es noch heute anrüchig, sich überhaupt mit Unterschieden im kulturellen Entwicklungsstand zu beschäftigen. Es sprechen jedoch gute Gründe dafür, warum dieses Thema einer ordentlichen Erklärung bedarf. Die erwähnten technologischen Unterschiede waren in den letzten 500 Jahren Ursache schwerer
Weitere Kostenlose Bücher