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Der dritte Schimpanse

Der dritte Schimpanse

Titel: Der dritte Schimpanse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jared Diamond
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befruchten (zum Beispiel Weizen) früher und leichter als bei Fremdbestäubern (zum Beispiel Roggen). Der Grund liegt darin, daß die Auswahl und Reinhal­tung bei Selbstbestäubern leichterfällt, da es nicht stän­dig zur Vermischung mit wildwachsenden Verwandten kommt. Ein weiteres Beispiel : Obwohl die Nußfrüchte zahlreicher Eichenarten im prähistorischen Europa und Nordamerika eine wichtige Rolle als Nahrungsquelle spielten, wurde nie eine Eiche domestiziert – vielleicht, weil sich Eichhörnchen als viel geschickter beim Aus­wählen und Einpflanzen der Eicheln erwiesen als der Mensch. Für jede domestizierte Pflanze, die wir heute noch verwenden, wurden in der Vergangenheit etliche ausprobiert und wieder verworfen. (Welcher heute le­bende Amerikaner hat denn schon mal Sumpfkraut ge­gessen, das Indianer im Osten Nordamerikas um 2000 v. Chr. wegen seiner Samenkörner domestizierten ?)
    Überlegungen wie diese helfen uns, den langsamen technischen Fortschritt in Australien zu verstehen. Die relative Armut dieses Kontinents an Wildpflanzen und -tieren, deren Domestikation überhaupt in Frage kam, war zweifellos mit dafür verantwortlich, daß die austra­lischen Ureinwohner den Schritt zur Landwirtschaft nicht taten. Auf den ersten Blick weniger deutlich sind die Gründe, warum die Landwirtschaft in Nord- und Südamerika gegenüber der Alten Welt so weit im Rück­stand war. Immerhin wurden ja viele Nahrungspflanzen, die heute weltweite Bedeutung haben, in der Neuen Welt domestiziert : Mais, Kartoffeln, Tomaten und Kürbisse, um nur einige zu nennen. Zur Lösung dieses Rätsels müssen wir einen genaueren Blick auf den Mais werfen, die wichtigste Anbaupflanze der Neuen Welt.
    Mais ist ein Getreide, das heißt ein Gras mit eßbaren, stärkehaltigen Früchten, die Gersten- und Weizenkör­nern ähneln. Die verschiedenen Getreidearten decken heute den größten Teil des Kalorienbedarfs der Mensch­heit. Zwar hingen alle Zivilisationen vom Getreidean­bau ab, aber es wurden je nach Region unterschiedliche Arten domestiziert, zum Beispiel Weizen, Gerste, Ha­fer und Roggen im Nahen Osten und in Europa, Reis, Fuchsschwanz- und Besenhirse in China und Südostasi­en, Sorghum, Perl- und Fingerhirse in Afrika südlich der Sahara, jedoch nur Mais in der Neuen Welt. Schon bald nach der Entdeckung Amerikas durch Kolumbus brach­ten Forschungsreisende Mais mit zurück nach Europa, von wo aus er den Weg in alle Teile der Erde fand. Heute wird Mais an Bedeutung nur noch von Weizen übertrof­fen, nimmt man die weltweiten Anbauflächen als Maß-stab. Warum entwickelten sich aber die auf Mais basie­renden indianischen Zivilisationen nicht ebenso schnell wie die der Alten Welt, die Weizen und andere Getreide­arten zur Grundlage hatten?
    Die Domestikation und der Anbau von Mais bereiteten viel mehr Schwierigkeiten, und das Ergebnis war nicht eben beeindruckend. An dieser Stelle werden alle Leser protestieren, die den Geschmack mit Butter bestriche­ner, gebackener Maiskolben auch so lieben wie ich. Wäh­rend meiner ganzen Kindheit freute ich mich Jahr für Jahr auf den Spätsommer, wenn am Straßenrand Stände aufgebaut wurden und ich mir dort die verlockendsten frischen Kolben aussuchen durfte. Mais ist heute in den USA das wichtigste Anbaugewächs mit einem Wert von 22 Milliarden Dollar für die Amerikaner und 50 Milliar­den Dollar für die Welt. Doch bevor Sie mich übler Nach­rede zeihen, lassen Sie mich erst die Unterschiede zwi­schen Mais und anderen Getreidearten erläutern.
    In der Alten Welt gab es über ein Dutzend wilder Grä-ser, deren Domestikation und Anbau sich leicht gestal­teten. Ihre großen Samenkörner, begünstigt durch die ausgeprägten jahreszeitlichen Klimaunterschiede, führ­ten den angehenden Bauern unübersehbar vor Augen, welchen Wert sie hatten. Sie ließen sich ohne Probleme en gros mit der Sichel ernten, mahlen, zum Kochen zu­bereiten und aussäen. Auf einen weiteren feinen Unter­schied hat als erster der Botaniker Hugh Iltis von der University of Wisconsin hingewiesen :
    Wir mußten gar nicht erst selbst herausfinden, ob die Körner lagerfähig waren, da uns Nagetiere im Nahen Osten mit ihren Vorratskammern, in denen sie bis zu 50 Pfund Samenkörner dieser Wildgräser aufbewahrten, den Beweis abnahmen.
    Die Getreidearten der Alten Welt waren schon in frei­er Natur ertragreich, und man kann noch heute im Na­hen Osten bis zu 1.500 Pfund wilden Weizen je Hektar an Berghängen ernten.

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