Der dritte Schimpanse
den Zeiten der Römer andere Sprachen in Europa, von denen genügend Wörter oder Inschriften erhalten geblieben sind, um sie als nichtindogermanisch zu identifizieren. Die am besten dokumentierte dieser untergegangenen Sprachen ist die rätselhafte etruskische Sprache aus dem italienischen Nordwesten, von der ein Text von 281 Zeilen auf einer Leinenschriftrolle erhalten ist, die auf irgendeine Weise nach Ägypten gelangte und dort als Hülle einer Mumie diente. All solche abhanden gekommenen nichtindogermanischen Sprachen waren Teile des Trümmerfeldes, das die indogermanische Expansion zurückließ.
Weiterer Sprachschutt wurde von den überlebenden indogermanischen Sprachen selbst aufgenommen. Um zu verstehen, wie Linguisten solche Überbleibsel erkennen, stellen Sie sich bitte vor, Sie wären gerade aus dem Weltall zu Besuch auf der Erde und erhielten drei Bücher in englischer Sprache überreicht, in denen drei Autoren über ihre jeweilige Heimat schrieben : ein Engländer, ein Amerikaner und ein Australier.
Die Sprache und die meisten Wörter würden sich in allen drei Büchern gleichen. Doch beim Vergleich des Buchs über Amerika mit dem über England würden Sie feststellen, daß das über Amerika viele Ortsnamen enthielte, die der gemeinsamen Sprache der drei Bücher offenkundig fremd wären – Namen wie Massachusetts, Winnepesaukee und Mississippi. Das Buch über Australien enthielte weitere Ortsnamen, die der Grundsprache ebenso fremd wären, aber auch nichts mit denen aus Amerika zu tun hätten – zum Beispiel Woonarra, Goondiwindi und Murrumbidgee : Vielleicht kämen Sie darauf, daß englische Einwanderer in Amerika und Australien auf Eingeborene mit eigenen Sprachen trafen, denen sie Ortsnamen und manche Gegenstandsbezeichnung entlehnten. Vielleich könnten Sie sogar ein paar Rückschlüsse über die Wörter und Laute jener unbekannten Eingeborenensprachen ziehen. In der Tat kennen wir die amerikanischen und australischen Sprachen, aus denen diese Wörter entlehnt sind, und könnten deshalb die Richtigkeit Ihrer Schlüsse bestätigen.
Ähnlich stießen Linguisten bei der Analyse mehrerer indogermanischer Sprachen auf Wörter, die offenbar aus inzwischen untergegangenen nichtindogermanischen Sprachen stammten. So scheint rund ein Sechstel aller griechischen Wörter, deren etymologische Ableitungen wir zurückverfolgen können, nichtindogermanischen Ursprungs zu sein. Es handelt sich dabei gerade um die Art von Wörtern, von denen man erwarten könnte, daß einfallende Griechen sie aus den Sprachen der Einheimischen entlehnten: Ortsnamen wie Korinth und Olymp, Bezeichnungen für Kulturpflanzen wie Oliven und Wein und die Namen von Göttern und Helden wie Athene und Odysseus. Vielleicht sind diese Wörter das sprachliche Erbe, das Griechenlands prä-indogermanische Bevölkerung den Griechischsprechern, die sie überrannten, hinterließen.
Es gibt also mindestens vier Arten von Indizien dafür, daß die indogermanischen Sprachen das Ergebnis einer antiken Dampfwalze sind: die Stammbaumverwandtschaft der heute noch gesprochenen indogermanischen Sprachen ; die wesentlich größere sprachliche Vielfalt in Gebieten wie Neuguinea, die in jüngerer Vergangenheit nicht überrannt wurden ; die nichtindogermanischen Sprachen, die in Europa bis in die Römerzeit oder noch länger lebendig blieben ; und schließlich das nichtindogermanische Erbe in mehreren indogermanischen Sprachen. – Läßt sich bei all diesen Argumenten für eine indogermanische Grundsprache in ferner Vergangenheit wohl auch ein Stück davon rekonstruieren? Zunächst erscheint die Vorstellung, eine längst ausgestorbene Sprache erlernen zu wollen, absurd. Doch ist es Linguisten tatsächlich gelungen, die Grundsprache weitgehend zu rekonstruieren, und zwar durch Analyse der gemeinsamen Wortstämme der einzelnen Tochtersprachen.
Ein Beispiel : Wäre das Wort für »Schaf« in jedem der modernen indogermanischen Sprachzweige völlig anders, so könnten wir nicht folgern, wie es in der Grundsprache gelautet haben muß. Bestünden jedoch Ähnlichkeiten, insbesondere zwischen geographisch so weit voneinander entfernten Zweigen wie Indoiranisch und Keltisch, könnten wir daraus schließen, daß die einzelnen Zweige von der Grundsprache den gleichen Wortstamm übernommen haben. Die Kenntnis der Lautverschiebungen zwischen den Tochtersprachen würde uns sogar die
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