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Der dritte Schimpanse

Der dritte Schimpanse

Titel: Der dritte Schimpanse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jared Diamond
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kambodschanischen Landsleuten zwischen 1975 und 1979) sein.

    Der Kollektivmord ist zwar ein Grundmerkmal des Genozids, es läßt sich aber darüber streiten, wie eng man die Definition fassen soll. Der Begriff »Genozid« wird oft auf so unterschiedliche Sachverhalte angewandt, daß er an Bedeutung einbüßt und wir schon nicht mehr so recht hinhören mögen. Selbst wenn man ihn nur noch auf großangelegten Massenmord anwendet, sind nicht alle Zweideutigkeiten ausgeräumt.
    Wie viele Tote muß es geben, um von Genozid und nicht mehr von Mord zu sprechen ? Auf diese Frage gibt es keine klare Antwort. Die Australier töteten alle 5000 Tasmanier, amerikanische Siedler die letzten 20 Susque­hanna-Indianer im Jahre 1763. Bedeutet die kleine Zahl der Opfer im letzteren Fall, daß trotz der Vollständig­keit der Ausrottung nicht von Genozid gesprochen wer­den kann?
    Muß Genozid von Regierungen verübt werden, oder zählt auch das, was Zivilisten tun ? Der Soziologe Irving Horowitz wollte private Akte getrennt betrachtet wis­sen und definierte Genozid als »strukturelle, systemati­sche Vernichtung Unschuldiger durch einen staatlichen bürokratischen Apparat«. Zwischen »rein« staatlichem Morden (Stalins Liquidation der politischen Opposi­tion) und »rein« privatem Morden (Anheuerung pro­fessioneller Indianerkiller durch brasilianische Großgrundbesitzer) gibt es jedoch fließende Übergänge. In Amerika wurden die Indianer gleichermaßen Opfer von Zivilisten und der US-Armee, und in Nord-Nigeria wur­den Ibos sowohl von aufgebrachten Menschenmengen als auch von Soldaten umgebracht. Im Jahre 1835 gelang es dem neuseeländischen Maori-Stamm der Te Ati Awa, ein Schiff in seine Gewalt zu bringen, es mit Vorräten zu beladen, eine Invasion der Chatham-Inseln durchzu­führen, 300 der dort lebenden Morioris (Angehörige ei­nes anderen polynesischen Stammes) zu ermorden, die übrigen zu versklaven und die Inseln so in ihren Besitz zu bringen. Nach der Definition von Horowitz handelte es sich hier wie bei vielen anderen wohlgeplanten Aus­rottungen eines Stammes durch einen anderen nicht um Genozid, weil keine staatliche Bürokratie im Spiel war.
    GENOZID, 1900–1950

    GENOZID, 1950–1990

    x = weniger als 10 000; xx = 10 000 und mehr; xxx = 100 000 und mehr; xxxx = 1 000 000 und mehr
    Ist das massenhafte Sterben von Menschen infolge bru­talen Handelns ohne explizite Tötungsabsicht ebenfalls als Genozid zu bezeichnen oder nicht ? Wohlgeplante Genozide waren beispielsweise die Ermordung von Tas­maniern durch Australier, von Armeniern durch Tür­ken während des Ersten Weltkrieges und natürlich die von den Nazis im Zweiten Weltkrieg verübten Greuelta­ten. Doch es gab auch ganz andere Fälle. Als die Choc­taw-, Cherokee- und Creek-Indianer um 1830 gezwun­gen wurden, aus dem Südosten der USA in Gebiete west­lich des Mississippi umzusiedeln, war es nicht Präsident Andrew Jacksons erklärte Absicht, daß viele Indianer unterwegs sterben sollten, doch er tat auch nichts für ihr Überleben. Die große Zahl von Todesopfern war die un­weigerliche Folge von Zwangsmärschen im kalten Win­ter mit wenig oder keiner Nahrung und Bekleidung.
    Eine ungewöhnlich offene Erklärung über die Bedeu­tung von Absichten gab der Verteidigungsminister von Paraguay ab, als seiner Regierung Komplizenschaft bei der Ausrottung der Guayaki-Indianer vorgeworfen wur­de, die man versklavt und gefoltert, ohne Nahrung und Medizin gelassen und brutal abgeschlachtet hatte. Der Minister erwiderte ganz einfach, daß hinter der Vernich­tung der Guayaki keine Absicht gestanden habe : »Ob­wohl es Opfer und Täter gibt, fehlt das dritte erforderli­che Element, um vom Verbrechen des Genozids zu spre­chen, die ›Absicht‹. Da keine Absicht vorliegt, kann auch nicht von ›Genozid‹ die Rede sein.« Mit ähnlicher Be­gründung wies Brasiliens ständiger UNO-Vertreter die gegen Brasilien gerichteten Vorwürfe, Genozid an den Amazonasindianern zu verüben, zurück: »… Es fehlte der böse Wille bzw. die Motivation, die bei Genozid vor­liegen muß. Die fraglichen Verbrechen wurden aus rein wirtschaftlichen Gründen begangen, und die Täter han­delten ausschließlich, um das Land ihrer Opfer in Besitz nehmen zu können.«
    Manche Massenmorde, wie der nationalsozialistische an Juden und Zigeunern, waren unprovoziert. Das Blut­bad war keine Vergeltung für etwa zuvor von den Opfern verübte Morde. In vielen anderen Fällen ist ein

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