Der dritte Schimpanse
Festlands als Instrument dieser Politik eine Abteilung der berittenen Polizei ein, die als Eingeborenenpolizei bezeichnet wurde und deren Taktik darin bestand, Aborigines aufzuspü-ren und zu töten oder zu vertreiben. Eine typische Strategie war die nächtliche Umzingelung eines Lagers, der im Morgengrauen ein Angriff folgte, bei dem Schußwaffen gegen die Bewohner eingesetzt wurden. Weiße Siedler bedienten sich auch häufig vergifteter Nahrung, um Aborigines umzubringen. Eine weitere verbreitete Praxis bestand in Razzien, bei denen Aborigines gefangengenommen und am Hals zusammengekettet wurden, woraufhin sie den Marsch in Gefangenenlager antreten mußten. Der britische Schriftsteller Anthony Trollope traf die im 19. Jahrhundert vorherrschende britische Einstellung gegenüber den Aborigines, als er schrieb : »Über die Schwarzen von Australien dürfen wir gewiß sagen, daß sie abtreten müssen. Alle Beteiligten sollten darauf hinwirken, ihnen dabei unnötige Qualen zu ersparen.«
Solche Praktiken gab es in Australien bis weit ins 20. Jahrhundert. Im Jahre 1928 richtete die Polizei bei Alice Springs ein Massaker an, bei dem 31 Aborigines ums Leben kamen. Das australische Parlament weigerte sich jedoch, auch nur einen Bericht über diesen Vorfall entgegenzunehmen, und statt der Polizisten wurden zwei überlebende Aborigines wegen Mordes vor Gericht gestellt. Halsketten wurden noch bis in die zweite Hälfte dieses Jahrhunderts benutzt und 1958 sogar vom Polizeichef West-Australiens als angeblich human verteidigt, als er Reportern des Melbourne Herald versicherte, Aborigines-Häftlinge hätten es lieber, wenn man ihnen Ketten anlegte.
Die Zahl der Festland-Ureinwohner war zu groß, um sie ganz auszurotten wie die Tasmanier. Doch immerhin schrumpfte ihre Population von 300 000 bei der Ankunft der ersten britischen Kolonisten im Jahre 1788 auf 60 000 bei der Volkszählung im Jahre 1921.
Heute bestehen große Unterschiede in den Ansichten weißer Australier über ihre Vergangenheit. Während die Regierung und viele Bürger zunehmend Symphatie für das Schicksal der Aborigines bekunden, leugnen andere jede Verantwortung für den verübten Genozid. So wurde 1982 in The Bulletin , Australiens führendem Nachrichtenmagazin, ein Brief einer gewissen Patricia Cobern abgedruckt, die entrüstet die Ausrottung der Tasmanier durch weiße Siedler leugnete. In Wirklichkeit, so Miss Cobern, seien die Siedler friedliebende Menschen von hoher Moral gewesen, die Tasmanier dagegen hinterhältig, mordgierig, kriegslüstern, schmutzig, gefräßig, von Ungeziefer befallen und von Syphilis entstellt. Außerdem hätten sie schlecht für ihre Kinder gesorgt, nie gebadet und abstoßende Ehesitten praktiziert. All das plus ein Todeswunsch und das Fehlen eines religiösen Glaubens habe zu ihrem Aussterben geführt, und daß es nach jahrtausendelanger Existenz ausgerechnet während eines Konflikts mit den Siedlern dazu kam, sei nur Zufall gewesen. Massaker hätten nur Tasmanier an Siedlern verübt, nicht umgekehrt. Außerdem hätten sich die Siedler nur zur Selbstverteidigung bewaffnet, kannten sich mit Schußwaffen gar nicht aus und erschossen nie mehr als 41 Tasmanier auf einmal.
Um den Fall der Tasmanier und der australischen Aborigines in die richtige Perspektive zu rücken, habe ich auf den Karten (Abb. S. 356, 358 f.) für drei verschiedene Zeiträume Massenmorde aufgeführt, die als Genozid bezeichnet worden sind. Es stellt sich die nicht leicht zu beantwortende Frage nach der Definition dieses Begriffs. Vom Wortursprung her bedeutet Genozid etwa soviel wie »Gruppenmord« : Die griechische Wurzel genos steht für Rasse, die lateinische Wurzel -zid für Mord (wie in Suizid, Infantizid). Die Auswahl der Opfer muß nach der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe erfolgen, unabhängig davon, ob das einzelne Individuum etwas getan hat, um die Täter zu provozieren. Das bestimmende Gruppenmerkmal kann die Rasse (Ermordung schwarzer Tasmanier durch weiße Australier), Staatszugehörigkeit (Ermordung polnischer Offiziere im Massaker von Katyn 1940 durch ebenfalls weiße Slawen, nämlich Russen), ethnische Zugehörigkeit (gegenseitiges Abschlachten der Hutu und Tutsi in Ruanda und Burundi in den sechziger und siebziger Jahren), Religion (Moslems und Christen im Libanon in den letz- ten Jahrzehnten) oder politische Überzeugung (Massenmord der Roten Khmer an ihren
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