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Der dritte Schimpanse

Der dritte Schimpanse

Titel: Der dritte Schimpanse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jared Diamond
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Zahl der bereits ausgerotteten Arten zu bekommen. Den Anfang machen die am besten gesicher­ten Zahlen: jene Arten, deren Ausrottung in der Neu­zeit erfolgte, gut dokumentiert ist und bei denen die Su­che nach Überlebenden gründlich genug war, um keinen Zweifel zu lassen, daß es keine mehr gibt. Weiter geht es mit Schätzungen für drei weniger gesicherte Kategorien : Arten, von denen seit längerer Zeit keine lebenden Exem­plare mehr gesichtet wurden und die ausstarben, bevor es überhaupt jemand bemerkte, dann die modernen Arten, die vor ihrem Aussterben noch nicht einmal »entdeckt« und mit Namen versehen wurden, und schließlich jene, die vom Menschen noch vor dem Aufstieg der moder­nen Wissenschaft ausgerottet wurden. Vor diesem Hin­tergrund können wir uns ein Bild von den Hauptmecha­nismen machen, die bei der Ausrottung von Arten durch den Menschen am Werk sind, und es läßt sich die Zahl der Arten schätzen, die wir wahrscheinlich innerhalb der Lebensspanne meiner Söhne noch ausrotten werden, wenn alles so weiterläuft wie bisher.

Kapitel 17
Das goldene Zeitalter, das es nie gab
    Jeder Teil dieser Erde ist meinem Volk heilig, jede glit­zernde Tannennadel, jeder sandige Strand, jeder Nebel in den dunklen Wäldern, jede Lichtung, jedes summen­de Insekt ist heilig, in den Gedanken und Erfahrungen meines Volkes … Der weiße Mann … ist ein Fremder, der kommt in der Nacht und nimmt von der Erde, was immer er braucht. Die Erde ist sein Bruder nicht, son­dern Feind .. . Fahrt fort, Euer Bett zu verseuchen, und eines Nachts werdet Ihr im eigenen Abfall ersticken .
    Aus einem Brief des Duwanish-Häuptlings Seattle an den amerikanischen Präsidenten Franklin Pierce, ge­schrieben im Jahre 1855
    Betroffen angesichts des Ausmaßes der Zerstörung, die Industriegesellschaften auf der Welt anrichten, sehen viele Umweltschützer in der Vergangenheit ein Golde­nes Zeitalter. Als die Europäer mit der Besiedlung Ame­rikas begannen, waren Luft und Wasser dort noch rein, die Landschaft grün, und durch die Prärie zogen riesi­ge Büffelherden. Heute atmen wir Smog, sorgen uns um Gift im Trinkwasser, betonieren die Landschaft zu und bekommen nur selten ein größeres wildlebendes Tier zu Gesicht. Und noch Schlimmeres ist zu erwarten. Wenn meine Söhne das Rentenalter erreichen, wird die Hälf­te aller Arten ausgestorben, die Luft radioaktiv und das Meer von Öl verschmutzt sein.
    Zwei einfache Gründe haben sicher eine wichtige Rol­le bei alldem gespielt. Erstens besitzt die moderne Tech­nik ein viel größeres Potential zur Verwüstung der Um­welt als die Steinäxte der fernen Vergangenheit, und zweitens leben heute mehr Menschen auf unserem Pla­neten als je zuvor. Vielleicht spielte aber auch ein drit­ter Faktor eine Rolle : ein genereller Wandel der Einstel­lungen. Anders als moderne Stadtbewohner gehen we­nigstens manche der vorindustriellen Völker – wie die Duwanish-Indianer, deren Häuptling oben zitiert wur­de – mit ihrer Umwelt wie mit einem kostbaren Gut um. Es gibt eine Vielzahl von Berichten darüber, wie Um­weltschutz in solchen Gesellschaften konkret praktiziert wird. Ein Angehöriger eines neuguineischen Stammes sagte mir einmal: »Es ist bei uns Sitte, daß ein Jäger, der an einem Tag eine Taube in einer Richtung vom Dorf aus erlegt, eine Woche warten muß, bevor er wieder auf Taubenjagd gehen darf, und sich dazu obendrein in die andere Richtung zu begeben hat.« Wir beginnen gerade erst zu begreifen, wie raffiniert viele solcher Methoden sogenannter »primitiver« Völker sind. So haben wohl­meinende ausländische Experten große Teile Afrikas in Wüste verwandelt, in denen viele Jahrtausende lang Hirtennomaden gelebt und durch alljährliche Wande­rungen dafür gesorgt hatten, daß es nie zur Überbean­spruchung der Vegetationsdecke kam.
    Die Nostalgie, die ich bis vor kurzem mit vielen ande­ren, die gegen die Umweltzerstörung kämpfen, teilte, ist Ausdruck der Neigung des Menschen, die Vergangen­heit in vielerlei Hinsicht als Goldenes Zeitalter zu ver­klären. Ein prominenter Vertreter dieser Sichtweise war der französische Moralphilosoph Jean-Jacques Rousseau, der im 18. Jahrhundert lebte und in seinem Werk »Über den Ursprung der Ungleichheit unter den Menschen« unserer Degeneration vom Goldenen Zeitalter bis zur nach seiner Ansicht erbärmlichen Gegenwart nachspür­te. Als die europäischen Entdeckungsreisenden des 18. Jahrhunderts auf vorindustrielle Völker

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