Der dritte Schimpanse
wie Polynesier und Indianer stießen, wurden diese in den Erzählungen in europäischen Salons als »edle Wilde« idealisiert, die noch in einer goldenen Zeit lebten und denen die Gei-ßeln der Zivilisation, wie religiöse Intoleranz, politische Tyrannei und soziale Ungleichheit, fremd waren.
Noch heute werden das antike Griechenland und Rom von vielen als Goldenes Zeitalter der westlichen Zivilisation angesehen. Paradoxerweise hielten Griechen und Römer sich selbst ebenfalls für degenerierte Nachfahren eines Goldenen Zeitalters. Ich entsinne mich noch der Zeilen des römischen Dichters Ovid, die ich im Lateinunterricht auswendig lernen mußte: »Aurea prima sata est aetas, quae vindice nullo … « (»Erst war das Goldene Zeitalter, als die Menschen aus freiem Willen ehrlich und rechtschaffen waren …«) Diesen Tugenden stellte Ovid die grassierende Niedertracht und Kriegslüsternheit seiner Epoche gegenüber. Ich zweifle nicht daran, daß die Menschen, die in der radioaktiven Brühe des 22. Jahrhunderts noch am Leben sind, ebenso nostalgisch über unser Zeitalter schreiben werden, das ihnen als vergleichsweise sorgenfrei erscheinen wird.
Bei der großen Zahl derer, die an ein Goldenes Zeitalter glauben, ist es kein Wunder, daß jüngste Entdeckungen von Archäologen und Paläontologen einen Schock auslösten. Heute steht fest, daß vorindustrielle Gesellschaften jahrtausendelang Arten ausrotteten, Lebensräume zerstörten und ihre eigene Existenzgrundlage untergruben. Zu den am besten erforschten Beispielen zählen Polynesier und Indianer, also gerade jene Völker, deren Verhalten besonders oft als vorbildlich dargestellt wird. Es braucht nicht erwähnt zu werden, daß diese revisionistische Ansicht nicht nur in akademischen Zirkeln, sondern auch bei normalen Bürgern in Hawaii, Neuseeland und anderen Regionen mit großem polynesischen oder indianischen Bevölkerungsanteil heftig umstritten ist. Handelt es sich bei den neuen »Entdeckungen« nicht um ein weiteres Beispiel rassistischer Pseudowissenschaft, mit der Weiße versuchen, die Entrechtung und Vertreibung farbiger Völker zu rechtfertigen ? Wie lassen sich die Entdeckungen mit all den Erkenntnissen über umweltfreundliche Praktiken moderner vorindustrieller Völker vereinbaren ? Könnten sie uns, falls sie seriös sind, als Fallbeispiele dienen, um das Schicksal vorherzusagen, das uns unsere eigene Umweltpraxis bescheren wird? Und könnten die jüngsten Erkenntnisse gar den rätselhaften Untergang antiker Zivilisationen aufklären, zum Beispiel der Osterinsel- oder Maya-Kultur?
Bevor wir diese kontroversen Fragen beantworten können, müssen wir uns zunächst ein Bild von den neuen Erkenntnissen verschaffen, die der Annahme eines Goldenen Zeitalters der Harmonie von Mensch und Natur entgegenstehen. Ich will mit früheren Wogen der Ausrottung beginnen und dann auf die Zerstörung natürlicher Lebensräume in der Vergangenheit eingehen.
Als Anfang des 19. Jahrhunderts die ersten britischen Siedler auf Neuseeland eintrafen, fanden sie dort mit Ausnahme von Fledermäusen keine Landsäugetiere vor. Das war nicht überraschend, da die Insel viel zu weit vom australischen Festland entfernt liegt, um von flugunfähigen Säugetieren erreicht worden zu sein. Jedoch förderten die Pflüge der Kolonisten statt dessen die Skelette und Eierschalen großer Vögel an den Tag, die damals bereits ausgestorben waren, aber in der Erinnerung der Maori (der polynesischen Erstbesiedler Neuseelands) unter der Bezeichnung Moas fortlebten. Vollständig erhaltene Skelette, von denen einige recht jung zu sein scheinen und noch Hautreste und Federn aufweisen, vermitteln ein anschauliches Bild vom Aussehen der Moas: Es waren straußenähnliche Vögel, die in rund einem Dutzend Arten vorkamen, von denen die kleinsten »nur« einen Meter groß und 20 Kilo schwer wurden, während die größten drei Meter erreichten und bis zu 250 Kilo wogen. Über ihre Nahrungsgewohnheiten gibt der Inhalt gefundener Mägen Aufschluß, der aus kleinen Zweigen und Pflanzen vielerlei Arten bestand. Die Moas waren somit das neuseeländische Pendant großer pflanzenfressender Säugetiere wie Hirsche und Antilopen.
Waren dies auch die bekanntesten unter den ausgestorbenen Vogelarten Neuseelands, so konnten anhand von Knochenfossilien noch viele weitere identifiziert werden, wobei insgesamt mindestens 28 Arten vor dem Eintreffen der Europäer verschwunden
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