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Der dritte Schimpanse

Der dritte Schimpanse

Titel: Der dritte Schimpanse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jared Diamond
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noch stärker als +0,2 – zum Beispiel verblüffende +0,61 für die Länge des Mit­telfingers. Zumindest unbewußt hat die Länge des Mit­telfingers also größere Bedeutung für die Partnerwahl als die Haarfarbe oder Intelligenz !
    Tendenziell heiraten also Partner mit ähnlichen Merk­malen, getreu der Regel : Gleich und gleich gesellt sich gern. Eine naheliegende Erklärung hierfür lautet, daß viele von uns in Wohngebieten leben, die durch den so­zioökonomischen Status, die Religion und die ethnische Zugehörigkeit ihrer Bewohner bestimmt sind. So glie­dern sich zum Beispiel amerikanische Großstädte meist recht deutlich in reiche und arme Gegenden, in jüdi­sche, chinesische, italienische und schwarze Viertel und so weiter. Mitglieder der gleichen Religionsgemeinschaft treffen sich beim Kirchgang, und bei vielen Alltagsak­tivitäten kommen wir mit Menschen mit gleichem so­zioökonomischen Status und ähnlichen politischen An­sichten zusammen. Da wir somit viel öfter Gelegenheit haben, Menschen zu treffen, die uns in dieser Hinsicht ähneln, als solche, die sich von uns unterscheiden, ist na­türlich auch die Wahrscheinlichkeit größer, daß wir je­manden mit gleicher Religion, sozioökonomischer Stel­lung und so weiter heiraten. Doch die gleiche Ohrläpp­chenlänge tritt zum Beispiel nicht räumlich gehäuft auf, so daß es noch eine andere Erklärung dafür geben muß, daß sich Ehepartner auch in dieser Hinsicht ähneln.
    Ein weiterer naheliegender Grund, warum sich ten­denziell Personen mit ähnlichen Merkmalen heiraten, ist der, daß bei der Eheschließung nicht bloß ein Partner seine Wahl trifft, sondern daß ein Einigungsprozeß vor­ausgeht. Wir gehen nicht auf die Suche, bis wir jemanden mit der richtigen Augenfarbe und Mittelfingerlänge ge­funden haben, und erklären dann: »Du heiratest mich.« Für die meisten folgt die Ehe auf einen Antrag und nicht auf eine einseitige Verkündung ; der Antrag stellt wie­derum das Ergebnis irgendeiner Form von Verhandlung dar. Je mehr sich ein Mann und eine Frau in ihren poli­tischen Ansichten, ihrer Religion und ihren Charakter­zügen ähneln, desto reibungsloser läuft diese Verhand­lung ab. Deshalb ist die Entsprechung der Persönlich­keitsmerkmale auch im Durchschnitt bei verheirateten Paaren größer als bei frischgebackenen, bei glücklich Verheirateten größer als bei unglücklich Verheirateten und bei erfolgreichen Ehen größer als bei geschiedenen. Aber das erklärt immer noch nicht die Ähnlichkeit von Ehepartnern in puncto Ohrläppchenlänge, die höchst selten als Scheidungsgrund angeführt wird.
    Es bleibt als Faktor, der die Heiratsentscheidung be­einflußt, neben räumlicher Häufung und reibungsloser Einigung also die sexuelle Attraktivität aufgrund der körperlichen Erscheinung. Das kann an sich nicht über­raschen. Die meisten von uns sind sich ihrer Vorliebe bei sichtbaren Merkmalen wie Größe, Figur und Haarfarbe wohl bewußt. Was zunächst verblüfft , ist die Bedeutung so zahlreicher anderer Körpermerkmale, die wir ge­wöhnlich gar nicht bewußt wahrnehmen, wie Ohrläpp­chen, Mittelfinger und Augenabstand. Trotzdem tragen all diese Merkmale unbewußt zu der Entscheidung bei, die wir blitzschnell treffen, wenn wir jemanden kennen­lernen und eine innere Stimme uns sagt: »Das ist mein Typ !«
    Hier ist ein Beispiel. Als meine Frau und ich uns ken­nenlernten, fand ich Marie sofort attraktiv und sie mich auch. Im nachhinein kann ich auch verstehen, warum : Wir haben beide braune Augen, sind etwa gleich groß, von ähnlicher Statur, haben die gleiche Haarfarbe und so weiter. Andererseits hatte ich aber das Gefühl, daß etwas an Marie nicht ganz meiner Idealvorstellung ent­sprach, fand aber nicht heraus, was es genau war. Jeden­falls nicht vor unserem ersten gemeinsamen Ballettbe­such. Ich lieh Marie mein Opernglas, und als sie es mir zurückgab, fiel mir auf, daß sie die beiden Okulare so weit zusammengedrückt hatte, daß ich nicht hindurchse­hen konnte, bevor ich sie wieder auseinandergeschoben hatte. Daran erkannte ich, daß Marie einen im Vergleich zu mir engeren Augenabstand hat und daß die meisten Frauen, mit denen ich vorher zusammen war, einen ähn­lich großen Augenabstand hatten wie ich. Dank Maries Ohrläppchen und anderer Vorzüge konnte ich darüber hinwegkommen, daß wir in dieser Hinsicht nicht zu­sammenpassen. Doch die Episode mit dem Opernglas machte mir erstmals klar, daß ein großer

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