Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der dritte Schimpanse

Der dritte Schimpanse

Titel: Der dritte Schimpanse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jared Diamond
Vom Netzwerk:
Thesen und Denkansätze in solcher Art mißbraucht. Der soziobiologischen Erör­terung der menschlichen Sexualität kann unterstellt wer­den, sie rechtfertige den Mißbrauch von Frauen durch Männer, analog den zur Rechtfertigung des Verhaltens Weißer gegenüber Schwarzen oder der Behandlung der Juden durch die Nationalsozialisten vorgebrachten bio­logischen »Begründungen«. In der Kritik mancher Bio­logen an der Soziobiologie tauchen zwei Befürchtungen immer wieder auf : daß der Hinweis auf eine evolutio­näre Grundlage für ein barbarisches Verhalten dieses zu rechtfertigen scheine und daß der Hinweis auf eine genetische Basis des betreffenden Verhaltens impliziere, daß alle Versuche, es zu ändern, scheitern müßten.
    In meinen Augen sind beide Befürchtungen unbe­gründet. Zur ersten will ich sagen, daß man sehr wohl versuchen kann, die Entstehung eines Verhaltens zu begreifen, ganz gleich, ob man es bewundert oder ab­scheulich findet. Die meisten Bücher über die Moti­ve von Mördern wurden nicht geschrieben, um Mord als solchen zu rechtfertigen, sondern um seine Ursa­chen zu verstehen und ihm besser vorbeugen zu kön­nen. Zur zweiten Befürchtung meine ich, daß wir kei­ne Sklaven unserer einmal entwickelten Eigenschaften sind, nicht einmal der genetisch erworbenen. Die mo­derne Zivilisation hat mit recht großem Erfolg alte Ver­haltensweisen wie die Kindestötung abgeschafft. Und ei­nes der Hauptziele der modernen Medizin ist die Elimi­nierung der Wirkung schädlicher Gene und Mikroben, obgleich man sehr wohl weiß, warum es für diese Gene und Mikroben ganz natürlich ist, eine tendenziell tödli­che Wirkung gegen uns zu entfalten. An unserer Ableh­nung der Praxis des Genitalienverschlusses ändert sich auch nichts durch die Einsicht, daß sie für die betref­fenden Männer genetisch vorteilhaft sein mag. Vielmehr verurteilen wir sie, da die Verstümmelung eines Men­schen durch einen anderen aus ethischen Gründen zu verabscheuen ist.
    Obwohl uns die Soziobiologie zwar ein Verständ­nis des menschlichen Sozialverhaltens im Kontext der Evolution zu geben vermag, sollten wir uns vor einer Überstrapazierung dieses Ansatzes hüten. Das Ziel al­len menschlichen Handelns läßt sich nicht darauf re­duzieren, möglichst viele Nachkommen zu hinterlassen. Nachdem die menschliche Kultur einmal fest etabliert war, gesellten sich neue Ziele zu den alten. Heute stel­len nicht wenige Paare in Frage, ob sie überhaupt Kinder wollen. Viele widmen ihre Zeit und Energie lieber an­deren Dingen. Eine ähnliche Einschätzung werden wir in späteren Kapiteln in bezug auf andere, ebenso men­schentypische Attribute wie unsere Sexualität gewinnen, zum Beispiel Kunst und Drogenmißbrauch. Auch da­für lassen sich Vorläufer im Tierreich finden und die ur­sprüngliche Rolle für das Überleben und die Weitergabe von Erbanlagen bestimmen, wobei sich aber später eine Eigendynamik entwickelte. Ich behaupte also nur, daß evolutionstheoretische Ansätze für das Verständnis des Ursprungs menschlicher Verhaltensweisen wie der obi­gen von großem Wert sind, aber nicht unbedingt den einzigen Zugang zum Verständnis ihrer heutigen Aus­prägungen liefern.
    Kurzum, die Entwicklung des Menschen erfolgte, wie die anderer Tiere auch, vor dem Hintergrund des Ziels, im Fortpflanzungsspiel zu gewinnen. Das einzige Ziel lautet dabei, so viele Nachkommen wie möglich zu hinterlassen. Viel von der alten Spielstrategie ist noch in uns. Aber wir haben auch neue ethische Ziele definiert, die mit den Zielen und Methoden des sexuellen Wett­kampfs in Konflikt geraten können. In der Möglichkeit, zwischen mehreren Zielen zu wählen, liegt einer der ra­dikalsten Unterschiede zwischen uns und anderen Tie­ren.

Kapitel 5
Wie wir unsere Partnerwahl treffen
    Gibt es universell gültige Regeln für gutes Aussehen und Sex-Appeal, die von so unterschiedlich aussehen­den Menschen wie Chinesen, Schweden und Fidschia­nern akzeptiert werden? Wenn nicht, ist unser persön­licher Geschmack dann bereits in den Genen program­miert oder erlernen wir ihn durch Betrachtung anderer Mitglieder unserer Gesellschaft? Wie wählen wir unse­ren Partner für Ehe und Bett wirklich aus ?
    Es mag Sie überraschen, daß sich dieses Problem wäh­rend der Evolution des Menschen neu stellte – oder we­nigstens für uns sehr viel größere Bedeutung erlangte als für die beiden anderen Schimpansenarten. Wie wir in Kapitel 3 erfuhren, ist

Weitere Kostenlose Bücher