Der dritte Schimpanse
Thesen und Denkansätze in solcher Art mißbraucht. Der soziobiologischen Erörterung der menschlichen Sexualität kann unterstellt werden, sie rechtfertige den Mißbrauch von Frauen durch Männer, analog den zur Rechtfertigung des Verhaltens Weißer gegenüber Schwarzen oder der Behandlung der Juden durch die Nationalsozialisten vorgebrachten biologischen »Begründungen«. In der Kritik mancher Biologen an der Soziobiologie tauchen zwei Befürchtungen immer wieder auf : daß der Hinweis auf eine evolutionäre Grundlage für ein barbarisches Verhalten dieses zu rechtfertigen scheine und daß der Hinweis auf eine genetische Basis des betreffenden Verhaltens impliziere, daß alle Versuche, es zu ändern, scheitern müßten.
In meinen Augen sind beide Befürchtungen unbegründet. Zur ersten will ich sagen, daß man sehr wohl versuchen kann, die Entstehung eines Verhaltens zu begreifen, ganz gleich, ob man es bewundert oder abscheulich findet. Die meisten Bücher über die Motive von Mördern wurden nicht geschrieben, um Mord als solchen zu rechtfertigen, sondern um seine Ursachen zu verstehen und ihm besser vorbeugen zu können. Zur zweiten Befürchtung meine ich, daß wir keine Sklaven unserer einmal entwickelten Eigenschaften sind, nicht einmal der genetisch erworbenen. Die moderne Zivilisation hat mit recht großem Erfolg alte Verhaltensweisen wie die Kindestötung abgeschafft. Und eines der Hauptziele der modernen Medizin ist die Eliminierung der Wirkung schädlicher Gene und Mikroben, obgleich man sehr wohl weiß, warum es für diese Gene und Mikroben ganz natürlich ist, eine tendenziell tödliche Wirkung gegen uns zu entfalten. An unserer Ablehnung der Praxis des Genitalienverschlusses ändert sich auch nichts durch die Einsicht, daß sie für die betreffenden Männer genetisch vorteilhaft sein mag. Vielmehr verurteilen wir sie, da die Verstümmelung eines Menschen durch einen anderen aus ethischen Gründen zu verabscheuen ist.
Obwohl uns die Soziobiologie zwar ein Verständnis des menschlichen Sozialverhaltens im Kontext der Evolution zu geben vermag, sollten wir uns vor einer Überstrapazierung dieses Ansatzes hüten. Das Ziel allen menschlichen Handelns läßt sich nicht darauf reduzieren, möglichst viele Nachkommen zu hinterlassen. Nachdem die menschliche Kultur einmal fest etabliert war, gesellten sich neue Ziele zu den alten. Heute stellen nicht wenige Paare in Frage, ob sie überhaupt Kinder wollen. Viele widmen ihre Zeit und Energie lieber anderen Dingen. Eine ähnliche Einschätzung werden wir in späteren Kapiteln in bezug auf andere, ebenso menschentypische Attribute wie unsere Sexualität gewinnen, zum Beispiel Kunst und Drogenmißbrauch. Auch dafür lassen sich Vorläufer im Tierreich finden und die ursprüngliche Rolle für das Überleben und die Weitergabe von Erbanlagen bestimmen, wobei sich aber später eine Eigendynamik entwickelte. Ich behaupte also nur, daß evolutionstheoretische Ansätze für das Verständnis des Ursprungs menschlicher Verhaltensweisen wie der obigen von großem Wert sind, aber nicht unbedingt den einzigen Zugang zum Verständnis ihrer heutigen Ausprägungen liefern.
Kurzum, die Entwicklung des Menschen erfolgte, wie die anderer Tiere auch, vor dem Hintergrund des Ziels, im Fortpflanzungsspiel zu gewinnen. Das einzige Ziel lautet dabei, so viele Nachkommen wie möglich zu hinterlassen. Viel von der alten Spielstrategie ist noch in uns. Aber wir haben auch neue ethische Ziele definiert, die mit den Zielen und Methoden des sexuellen Wettkampfs in Konflikt geraten können. In der Möglichkeit, zwischen mehreren Zielen zu wählen, liegt einer der radikalsten Unterschiede zwischen uns und anderen Tieren.
Kapitel 5
Wie wir unsere Partnerwahl treffen
Gibt es universell gültige Regeln für gutes Aussehen und Sex-Appeal, die von so unterschiedlich aussehenden Menschen wie Chinesen, Schweden und Fidschianern akzeptiert werden? Wenn nicht, ist unser persönlicher Geschmack dann bereits in den Genen programmiert oder erlernen wir ihn durch Betrachtung anderer Mitglieder unserer Gesellschaft? Wie wählen wir unseren Partner für Ehe und Bett wirklich aus ?
Es mag Sie überraschen, daß sich dieses Problem während der Evolution des Menschen neu stellte – oder wenigstens für uns sehr viel größere Bedeutung erlangte als für die beiden anderen Schimpansenarten. Wie wir in Kapitel 3 erfuhren, ist
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