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Der dritte Schimpanse

Der dritte Schimpanse

Titel: Der dritte Schimpanse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jared Diamond
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Müßte die natürliche Selektion nicht diejenige Frau favorisieren, die bis zum Ende ihrer Tage frucht­bar bleibt?
    Das weibliche Klimakterium ist vermutlich die Folge zweier weiterer menschlicher Charakteristika : der au-ßergewöhnlichen Gefahr, welche die Geburt eines Kin­des für die Mutter darstellt, und der Gefahr, die der Tod der Mutter für die Kinder darstellt. Rufen Sie sich in Er­innerung, was ich über die enorme Größe des menschli­chen Babys bei der Geburt im Verhältnis zur Größe sei­ner Mutter sagte : Unsere sechspfündigen Babys, die dem Leib von Müttern entstammen, die vielleicht 90 Pfund wiegen, stehen den zweipfündigen Gorilla-Babys gegen-über, deren Mütter über 180 Pfund schwer sind. Die Ge­burt eines Kindes birgt deshalb Gefahr für die Mutter. Besonders vor dem Aufkommen moderner Techniken der Geburtshilfe verloren viele Frauen bei der Entbin­dung das Leben, während dies bei Gorillas und Schim­pansen so gut wie nie vorkommt.
    In Kapitel 3 beschrieb ich auch die extreme Abhän­gigkeit menschlicher Babys von ihren Eltern und beson­ders der Mutter. Da ihre Entwicklung so langsam voran­geht und sie sich, anders als die Jungen von Menschen­affen, nach der Entwöhnung von der Muttermilch nicht einmal selbst ernähren können, wäre der Tod der Mut­ter unter den Lebensbedingungen der Jäger und Samm­ler mit großer Wahrscheinlichkeit auch für ihren Nach­wuchs fatal, und zwar bis in ein höheres Lebensalter als bei irgendwelchen anderen Primaten. Folglich setz­te eine Frau mit mehreren Kindern deren Leben bei je­der weiteren Geburt aufs Spiel. Da die Investitionen in ihre früher geborenen Kinder mit der Zeit immer grö-ßer wurden und ihr eigenes Risiko, bei der Geburt eines weiteren Kindes zu sterben, ebenso wuchs, wurden die Aussichten, daß sich ihr Wagnis auszahlen würde, mit der Zeit immer schlechter. Warum sollte eine Frau, die bereits drei lebende, aber noch von ihr abhängige Kin­der hat, diese drei für ein viertes aufs Spiel setzen?
    Die sich verschlechternden Aussichten führten wahr­scheinlich durch natürliche Selektion zum Klimakte­rium und zum Ende der weiblichen Fruchtbarkeit, um die früheren Investitionen der Mutter in ihre Kinder zu schützen. Da die Geburt von Kindern für Männer nicht mit einer Todesgefahr verbunden ist, entwickelte sich bei ihnen kein Klimakterium. Ebenso wie das Altern lie­fert das Klimakterium ein anschauliches Beispiel dafür, wie ein evolutionstheoretischer Ansatz Merkmale unse­res Lebenszyklus erhellt, die sich sonst dem Verständnis entziehen würden. Vielleicht entwickelte sich das Kli­makterium sogar erst innerhalb der letzten 40 000 Jah­re, als Cro-Magnons und andere anatomisch moderne Menschen immer öfter ein Alter von 60 Jahren oder dar-über erreichten.
    Neandertaler und ältere menschliche Vorfahren star­ben ohnehin, bevor sie 40 waren, so daß das Klimakte­rium den Frauen keinen Nutzen gebracht hätte, wenn es denn im gleichen Alter aufgetreten wäre wie bei der mo­dernen Femina sapiens .
    Somit beruht die im Vergleich zu Menschenaffen län­gere Lebensdauer des modernen Menschen nicht nur auf kulturellen Errungenschaften wie zum Beispiel der Erfindung von Werkzeugen zur Nahrungsbeschaffung und zur Abwehr von Raubtieren. Sie basiert ebenfalls auf zwei biologischen Umstellungen, nämlich dem Kli­makterium und der Steigerung der Investitionen in die Selbstheilungsmechanismen unseres Körpers. Ob sich diese biologischen Umstellungen nun genau zur Zeit des »großen Sprungs« ergaben oder schon früher, ist nicht so wichtig. Fest steht jedenfalls, daß sie zu den Verän­derungen in unserem Lebenszyklus zählen, welche die Menschwerdung des dritten Schimpansen erst ermög­lichten.
    Die letzte Folgerung, die ich aus dem evolutionstheoreti­schen Ansatz zur Erklärung des Alterns ziehen möchte, ist die, daß er den seit langem in der physiologischen Al­tersforschung beherrschenden Ansatz unterminiert. Die gerontologische Literatur ist geradezu besessen von der Suche nach der Ursache des Alterns – also möglichst ei­ner einzigen, gewiß aber nicht mehr als einigen wenigen Hauptursachen. Während der Zeit, in der ich selbst Bio­loge war, wetteiferten hormonale Veränderungen, eine graduelle Schwächung des Immunsystems und eine neurale Degeneration um den Titel der Grund , ohne daß bis heute überzeugende Beweise für einen der Kandi­daten erbracht worden wären. Evolutionstheoretischen Überlegungen

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