Der dritte Schimpanse
Müßte die natürliche Selektion nicht diejenige Frau favorisieren, die bis zum Ende ihrer Tage fruchtbar bleibt?
Das weibliche Klimakterium ist vermutlich die Folge zweier weiterer menschlicher Charakteristika : der au-ßergewöhnlichen Gefahr, welche die Geburt eines Kindes für die Mutter darstellt, und der Gefahr, die der Tod der Mutter für die Kinder darstellt. Rufen Sie sich in Erinnerung, was ich über die enorme Größe des menschlichen Babys bei der Geburt im Verhältnis zur Größe seiner Mutter sagte : Unsere sechspfündigen Babys, die dem Leib von Müttern entstammen, die vielleicht 90 Pfund wiegen, stehen den zweipfündigen Gorilla-Babys gegen-über, deren Mütter über 180 Pfund schwer sind. Die Geburt eines Kindes birgt deshalb Gefahr für die Mutter. Besonders vor dem Aufkommen moderner Techniken der Geburtshilfe verloren viele Frauen bei der Entbindung das Leben, während dies bei Gorillas und Schimpansen so gut wie nie vorkommt.
In Kapitel 3 beschrieb ich auch die extreme Abhängigkeit menschlicher Babys von ihren Eltern und besonders der Mutter. Da ihre Entwicklung so langsam vorangeht und sie sich, anders als die Jungen von Menschenaffen, nach der Entwöhnung von der Muttermilch nicht einmal selbst ernähren können, wäre der Tod der Mutter unter den Lebensbedingungen der Jäger und Sammler mit großer Wahrscheinlichkeit auch für ihren Nachwuchs fatal, und zwar bis in ein höheres Lebensalter als bei irgendwelchen anderen Primaten. Folglich setzte eine Frau mit mehreren Kindern deren Leben bei jeder weiteren Geburt aufs Spiel. Da die Investitionen in ihre früher geborenen Kinder mit der Zeit immer grö-ßer wurden und ihr eigenes Risiko, bei der Geburt eines weiteren Kindes zu sterben, ebenso wuchs, wurden die Aussichten, daß sich ihr Wagnis auszahlen würde, mit der Zeit immer schlechter. Warum sollte eine Frau, die bereits drei lebende, aber noch von ihr abhängige Kinder hat, diese drei für ein viertes aufs Spiel setzen?
Die sich verschlechternden Aussichten führten wahrscheinlich durch natürliche Selektion zum Klimakterium und zum Ende der weiblichen Fruchtbarkeit, um die früheren Investitionen der Mutter in ihre Kinder zu schützen. Da die Geburt von Kindern für Männer nicht mit einer Todesgefahr verbunden ist, entwickelte sich bei ihnen kein Klimakterium. Ebenso wie das Altern liefert das Klimakterium ein anschauliches Beispiel dafür, wie ein evolutionstheoretischer Ansatz Merkmale unseres Lebenszyklus erhellt, die sich sonst dem Verständnis entziehen würden. Vielleicht entwickelte sich das Klimakterium sogar erst innerhalb der letzten 40 000 Jahre, als Cro-Magnons und andere anatomisch moderne Menschen immer öfter ein Alter von 60 Jahren oder dar-über erreichten.
Neandertaler und ältere menschliche Vorfahren starben ohnehin, bevor sie 40 waren, so daß das Klimakterium den Frauen keinen Nutzen gebracht hätte, wenn es denn im gleichen Alter aufgetreten wäre wie bei der modernen Femina sapiens .
Somit beruht die im Vergleich zu Menschenaffen längere Lebensdauer des modernen Menschen nicht nur auf kulturellen Errungenschaften wie zum Beispiel der Erfindung von Werkzeugen zur Nahrungsbeschaffung und zur Abwehr von Raubtieren. Sie basiert ebenfalls auf zwei biologischen Umstellungen, nämlich dem Klimakterium und der Steigerung der Investitionen in die Selbstheilungsmechanismen unseres Körpers. Ob sich diese biologischen Umstellungen nun genau zur Zeit des »großen Sprungs« ergaben oder schon früher, ist nicht so wichtig. Fest steht jedenfalls, daß sie zu den Veränderungen in unserem Lebenszyklus zählen, welche die Menschwerdung des dritten Schimpansen erst ermöglichten.
Die letzte Folgerung, die ich aus dem evolutionstheoretischen Ansatz zur Erklärung des Alterns ziehen möchte, ist die, daß er den seit langem in der physiologischen Altersforschung beherrschenden Ansatz unterminiert. Die gerontologische Literatur ist geradezu besessen von der Suche nach der Ursache des Alterns – also möglichst einer einzigen, gewiß aber nicht mehr als einigen wenigen Hauptursachen. Während der Zeit, in der ich selbst Biologe war, wetteiferten hormonale Veränderungen, eine graduelle Schwächung des Immunsystems und eine neurale Degeneration um den Titel der Grund , ohne daß bis heute überzeugende Beweise für einen der Kandidaten erbracht worden wären. Evolutionstheoretischen Überlegungen
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