Der dritte Schimpanse
klären. In den zehn Jahren, die vergehen, bis ein Albatros sein erstes Junges schlüpfen sieht, kann eine Mäusepopulation schon 60 Generationen durchlaufen haben.
Als drittes Beispiel wollen wir männliche und weibliche Angehörige der gleichen Art vergleichen. Zu erwarten ist ein größerer potentieller Vorteil aus Selbstheilungsmechanismen und langsamerer Alterung für das Geschlecht, dessen Angehörige seltener auf unnatürliche Weise ums Leben kommen. Bei vielen oder sogar den meisten Arten ist diese Form der Sterblichkeit bei männlichen Tieren höher als bei weiblichen, was zum Teil darauf beruht, daß sie sich durch Kämpfe und auffällig zur Schau gestellte Merkmale größeren Gefahren aussetzen. Beim Menschen gilt dies ebenfalls heute und wahrscheinlich während unserer gesamten Geschichte als Spezies. Männer sterben eher in Kriegen gegen Geschlechtsgenossen anderer Sippen oder in Einzelkämpfen innerhalb der eigenen Sippe. Bei vielen Tierarten sind die Männchen zudem größer als die Weibchen, wobei Untersuchungen an Rothirschen und Drosseln ergaben, daß sie dadurch eher umkommen, wenn die Nahrung knapp wird.
Im Zusammenhang mit dieser größeren Häufigkeit unnatürlicher Todesfälle steht, daß Männer auch schneller altern und eine höhere natürliche Todesrate als Frauen aufweisen. Zur Zeit liegt die Lebenserwartung von Frauen etwa sechs Jahre über der von Männern; zum Teil erklärt sich diese Diskrepanz dadurch, daß mehr Männer rauchen, aber auch unter Nichtrauchern zeigt sich ein geschlechtsspezifischer Unterschied in der Lebenserwartung. Er legt die Vermutung nahe, daß die Evolution uns so programmiert hat, daß Frauen mehr Energie in die Selbstheilung ihres Körpers investieren, während Männer mehr Energie dafür benötigen, gegeneinander zu kämpfen. Mit anderen Worten lohnt die Selbstheilung eines Mannes weniger als die einer Frau. Damit soll das kriegerische Verhalten von Männern noch nicht einmal verunglimpft werden, denn es erfüllt im Sinne der Evolution einen nützlichen Zweck für den Mann: Frauen zu gewinnen und für seine Kinder und seine Sippe Ressourcen zu sichern – auf Kosten anderer Männer und deren Kinder und Sippe.
Beim letzten meiner verblüffenden Beispiele, die nur vor dem Hintergrund der Evolution zu begreifen sind, geht es um das charakteristisch menschliche Phänomen, daß wir nach Überschreiten des fortpflanzungsfähigen Alters weiterleben, also insbesondere nach dem weiblichen Klimakterium. Da die Vererbung genetischer Anlagen an die nächste Generation die treibende Kraft hinter der Evolution ist, leben Angehörige anderer Tierarten selten länger als bis zum Ende des fortpflanzungsfähigen Alters. Die Natur hat es vielmehr so eingerichtet, daß der Tod mit dem Ende der Fruchtbarkeit zusammenfällt, da sich kein evolutionärer Nutzen daraus ergibt, den Körper weiter in gutem Zustand zu erhalten. Daß Frauen nach dem Klimakterium noch Jahrzehnte weiterleben, stellt eine erklärungsbedürftige Ausnahme dar, und ebenso, daß Männer ein Alter erreichen, in dem die meisten lange nicht mehr damit beschäftigt sind, Babys zu zeugen.
Doch die Erklärung ist rasch gefunden. Beim Menschen ist die Phase intensiver elterlicher Fürsorge ungewöhnlich lang und erstreckt sich über fast zwei Jahrzehnte. Selbst die Älteren, deren Kinder bereits erwachsen sind, haben noch eine enorme Bedeutung für das Überleben nicht nur ihrer Kinder, sondern der gesamten Sippe. Besonders vor der Verbreitung der Schrift dienten sie als Träger von unentbehrlichem Wissen. Deshalb hat uns die Natur mit der Gabe versehen, unseren übrigen Körper auch dann noch in relativ gutem Gesundheitszustand zu erhalten, wenn die weiblichen Fortpflanzungsanlagen schon lange verkümmert sind.
Umgekehrt müssen wir uns fragen, warum die natürliche Selektion überhaupt das Klimakterium in die Frauen hineinprogrammierte. Ebenso wie das Altern läßt sich auch das Klimakterium nicht als zwangsläufige physiologische Tatsache vom Tisch wischen. Die meisten Säugetiere, einschließlich männlicher Exemplare der Spezies Mensch sowie Schimpansen und Gorillas beider Geschlechter, erleben im Gegensatz zum abrupten Ende der Fruchtbarkeit bei Frauen nur einen allmählichen Rückgang und schließlich ein Ausklingen ihrer Fortpflanzungsfähigkeit. Wie kam es zu dieser scheinbar kontraproduktiven Besonderheit des Menschen ?
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