Der dritte Zustand
versprach er ihr hoch und heilig, das ganze Haus auf den Kopf zu stellen und ihr das Wunderglühwürmchen noch heute abend gesund und wohlbehalten zurückzugeben. Während er sie zur Tür begleitete, murmelte er niedergeschlagen, er werde sich niemals verzeihen.
Annette lachte.
22.
»Mir ist auch so in deiner Nähe wohl«
Die beiden Frauen gingen im Treppenhaus aneinander vorbei. Kaum war Annette weg, erschien Nina Gefen, das graue Haar erbarmungslos gestutzt, in der Hand eine schwere Einkaufstasche, die sie energisch zwischen die Zeitungen, Marmeladengläser und schmutzigen Kaffeetassen auf den Tisch knallte. Dann zündete sie sich mit harter Geste eine Nelson-Zigarette an. Das Streichholz löschte sie nicht durch Ausblasen, sondern durch heftiges Wedeln. Und sofort stieß sie zwei Rauchlanzen durch die Nasenlöcher aus.
Fima mußte unwillkürlich grinsen. Der Damenwechsel erinnerte ihn plötzlich an die Heerscharen weiblicher Gäste, die bei seinem Vater aus und ein gingen. Vielleicht wurde es langsam Zeit, daß er sich ebenfalls einen Stock mit Silberknauf anschaffte?
»Warum lachst du?« fragte Nina.
Durch den Zigarettenqualm hatte ihre Nase womöglich einen Rest weiblichen Parfüms gewittert. Ohne seine Antwort abzuwarten, fügte sie hinzu: »Auch die Dame in Rot, der ich im Hausgang begegnet bin, hat wie eine satte Katze vor sich hingelächelt. Hast du vielleicht Besuch gehabt?«
Fima wollte leugnen. Also er und Damenbesuch. Es gebe schließlich acht Wohnungen in diesem Aufgang. Aber irgend etwas hielt ihn davon ab, diese magere, bittere Frau anzulügen, die wie ein von den Häschern eingekreister Fuchs wirkte, die er in Gedanken manchmal ›meine Geliebte‹ nannte und deren Mann ihm ebenfalls lieb und teuer war. Er senkte denBlick und sagte entschuldigend: »Eine Patientin. Ist bei uns da in der Praxis in Behandlung. Irgendwie haben wir uns ein bißchen angefreundet.«
»Wird bei dir eine Zweigpraxis eröffnet?«
»Das ist so«, sagte Fima, während sich seine Hände vergeblich abmühten, die beiden Teile des heruntergefallenen Transistors zusammenzusetzen, »ihr Mann hat sie ein bißchen verlassen. Da hat sie sich mit mir beraten wollen.«
»Pfleger für gebrochene Herzen«, sagte Nina, und was sich stichelnd anhören sollte, klang eher den Tränen nahe, »wirklich ein Schutzpatron der Strohwitwen. Demnächst wirst du hier noch Sprechstundenzeiten anschlagen müssen. Termin nur nach vorheriger Vereinbarung.«
Sie ging in die Küche und zog aus der Einkaufstasche einen Beutel voller Sprays und Reinigungsmittel hervor, die sie vorerst auf der Thekenecke abstellte. Fima meinte, ihre um den Zigarettenstummel geschlossenen Lippen beben zu sehen. Dann entnahm sie der Tasche Lebensmittel, die sie für ihn eingekauft hatte, machte den Kühlschrank auf und rief, erschrocken über den Anblick: »Ist ja grauenhaft!«
Fima brachte eine schwache Entschuldigung hervor: Vorgestern nacht habe er gründlich aufgeräumt, nur den Kühlschrank habe er nicht mehr geschafft. Und wann kommt Uri zurück?
Nina zog als letztes ein kleines, in Plastikfolie eingewickeltes Päckchen aus der Tasche hervor: »In der Nacht. Von Freitag auf Samstag. Das heißt morgen. Sicher brennt’s euch beiden schon. Da könnt ihr Samstagabend Flitterwochen halten. Hier, nimm, ich hab’ dir das Buch über Leibowitz mitgebracht. Bei der Flucht hast du’s auf dem Teppich liegenlassen. Was soll aus dir werden, Fima. Wie du bloß ausschaust.«
Tatsächlich hatte er nach Annettes Weggang vergessen, den Hemdzipfel wieder in die Hose zu stopfen, und unter dem Zottelbärpullover lugte hinten der Saum seines vergrauten Flanellunterhemds hervor.
Nina räumte den Kühlschrank leer, warf erbarmungslos uraltes Gemüse, Thunfisch, steinharte, grünschimmlige Käsereste und eine offene Sardinenbüchse in den Mülleimer. Und stürzte sich mit einem in Reinigungsmittel getränkten Lappen auf Regale und Innenwände. Inzwischen schnitt Fima sich ein paar dicke Scheiben von dem duftenden georgischen Schwarzbrot ab, das sie mitgebracht hatte, strich großzügig Marmelade darauf und begann mit vollen Backen zu kauen. Und überschüttete Nina dabei mit einem kleinen Vortrag über die Lehren, die wir hier aus dem Niedergangder Linksparteien in England, in Skandinavien, ja eigentlich in ganz Nordeuropa ziehen müssen. Plötzlich, mitten im Satz, sagte er dann mit veränderter Stimme: »Schau, Nina. In bezug auf vorgestern abend. Nein, das war vorher. Ich bin
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