Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Dritte Zwilling.

Der Dritte Zwilling.

Titel: Der Dritte Zwilling. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
Vom Netzwerk:
spielt.
    Das andere Extrem sind Eltern, die ihre Kinder mißhandeln oder gar mißbrauchen und eine ganze Familie von Schizophrenen hervorbringen können. Aber beides sind Extremfälle. Kinder, die von den Eltern stark vernachlässigt wurden, sind oft kleinwüchsig, selbst wenn die Eltern und Großeltern körperlich groß sind. Wird ein Kind wiederum zu sehr verhätschelt, kann es fettleibig sein, auch wenn es aus einer Familie schlanker Menschen stammt. Dennoch zeigen sämtliche neueren Studien auf diesem Gebiet - und zwar mit zunehmender Deutlichkeit -, daß vorrangig das genetische Erbe und nicht das soziale Umfeld oder die Art und Weise der Erziehung die Natur des Kindes bestimmt.« Sie hielt inne. »Wenn es keine weiteren Fragen gibt, so lesen Sie dann bitte den Artikel von Bouchard et al. in Science vom 12. Oktober 1990. Bis nächsten Montag.« Jeannie schob ihre Unterlagen zusammen.
    Die Studenten packten ihre Bücher ein. Jeannie blieb noch eine Zeitlang wartend stehen, um Studenten, die zu ängstlich waren, sich vor den anderen zu äußern, die Möglichkeit zu geben, unter vier Augen mit ihr zu reden. Introvertierte wurden oft zu hervorragenden Wissenschaftlern.
    Es war Donna-Marie, die zu Jeannie kam. Sie besaß ein rundes Gesicht und helles, lockiges Haar. Sie war bestimmt mal eine gute Krankenschwester, dachte Jeannie, still und tüchtig. »Es tut mir leid, was mit der armen Lisa geschehen ist«, sagte Donna-Marie. »Was für eine schlimme Sache.«
    »Und die Polizei hat alles noch schlimmer gemacht«, entgegnete Jeannie. »Der Cop, der sie zum Krankenhaus gefahren hat, war ein richtiges Arschloch, um es mal deutlich zu sagen.«
    »O je. Na ja, vielleicht schnappen sie den Kerl. Überall auf dem Campus werden Flugblätter mit einem Phantombild des Täters verteilt.«
    »Gut!« Das Bild, das Donna-Marie erwähnte, war gewiß mit Hilfe von Mish Delawares Computerprogramm entworfen worden. »Ich war diese Nacht bei Lisa.
    Als ich heute morgen ging, hat sie gemeinsam mit einem weiblichen Detective an dem Phantombild gearbeitet.«
    »Wie geht es ihr?«
    »Sie ist immer noch wie benommen … und zugleich schrecklich aufgewühlt.«
    Donna-Marie nickte. »Vergewaltigungsopfer machen verschiedene Phasen durch.
    Ich habe es in meinem Beruf erlebt. In der ersten Phase versuchen sie, die Tat zu verleugnen. Sie sagen sich: >Ich werde das alles einfach hinter mir lassen und mein Leben wie gewohnt weiterführen.« Aber so einfach ist es nie.«
    »Vielleicht sollten Sie mal mit Lisa reden. Wenn Sie wissen, was psychisch auf sie zukommt, können Sie ihr vielleicht helfen.«
    »Sehr gern«, sagte Donna-Marie.
    Jeannie ging über den Campus zur Klapsmühle, dem Psychologischen Institut. Es war immer noch heiß. Unwillkürlich schaute Jeannie sich wachsam um - wie ein schußbereiter Cowboy in einem Westernfilm -, als würde sie damit rechnen, daß plötzlich jemand um die Ecke des Erstsemesterwohnheims kam und über sie herfiel. Bis gestern noch war ihr der Campus der Jones Falls stets wie eine Oase nostalgischer Stille in der Wüste einer modernen amerikanischen Großstadt erschienen.
    Die Universität war ja tatsächlich so etwas wie eine kleine Stadt für sich - mit Läden und Bankfilialen, Sportplätzen und Parkuhren, Kneipen und Restaurants, Büro-und Wohngebäuden. Nun aber hatte die JFU sich in eine gefährliche Gegend verwandelt. In Jeannie stieg Zorn auf. Der Mistkerl hatte kein Recht, so etwas zu tun, dachte sie voller Bitterkeit. Er ist schuld, daß ich mich nun an meinem eigenen Arbeitsplatz fürchte. Aber vielleicht hat ein Verbrechen immer diese Wirkung: Es verwandelt den festen Boden unter deinen Füßen in einen tückischen Sumpf.
    Als Jeannie ihr Büro betrat, dachte sie an Berrington Jones. Er war ein attraktiver Mann, sehr galant im Umgang mit Frauen. Sie hatte die Zeit, die sie mit ihm verbrachte, stets genossen. Außerdem stand sie in seiner Schuld. Schließlich hatte er ihr diesen Job verschafft.
    Andererseits war Berry ein aalglatter Bursche. Jeannie vermutete, daß seine Haltung Frauen gegenüber sehr berechnend war, nur auf den eigenen Vorteil bedacht. Wenn sie an Berrington dachte, kam ihr stets der Witz über den Mann in den Sinn, der beim ersten Rendezvous zu der Frau sagt: »Erzählen Sie mir von Ihnen! Was, zum Beispiel, halten Sie von mir?«
    In mancher Hinsicht wirkte er gar nicht wie ein Gelehrter. Doch Jeannie hatte beobachtet, daß die wahren Tatmenschen der akademischen Welt ganz und gar

Weitere Kostenlose Bücher