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Der Dschungel

Der Dschungel

Titel: Der Dschungel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Upton Sinclair
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fünfundzwanzig kriege ich doch bald?«
    »So bald ich kann.«
    »Noch diesen Monat?«
    »Ja, in einem Monat«, sagte der arme Jurgis. »Alles, was Sie wollen. Nur beeilen Sie sich!«
    »Was ist nun mit den eineinviertel Dollar?« beharrte Madame Haupt erbarmungslos.
    Jurgis legte das Geld auf den Tisch. Sie zählte nach und steckte es weg. Dann wischte sie sich wieder die fettigen Hände ab und begann, sich fertig zu machen, wobei sie die ganze Zeit jammerte. Sie war so dick, daß sie sich nur mit Mühe bewegen konnte; bei jedem Schritt stöhnte sie und japste nach Luft. Ohne sich zu genieren und sich vor Jurgis wenigstens umzudrehen, legte sie den Morgenmantel ab, würgte sich in ihr Korsett und zog ein Kleid an. Dann mußten die schwarze Haube sorgfältig aufgesetzt und zurechtgerückt, der verlegte Regenschirm gesucht und schließlich noch all die hier und da herumliegenden Utensilien in die Hebammentasche gestopft werden. Jurgis wurde unterdessen vor Sorge und Angst bald wahnsinnig. Als sie auf der Straße waren, lief er immer vier Schritte voraus, drehte sich alle paar Augenblicke nach ihr um, als könnte er sie dadurch zu schnellerer Gangart antreiben. Aber Madame Haupt kam mit jedem Schritt nur ein winziges Stück voran und mußte selbst so alle Kraft darauf konzentrieren, genug Atem zu bekommen.
    Endlich erreichten sie Anieles Haus und kamen zu den verängstigten Frauen in der Küche. Es sei noch nicht vorbei, sagten sie zu Jurgis – und gleich darauf hörte er Ona wieder schreien. Inzwischen nahm Madame Haupt ihre Haube ab, hängte sie an die Stange mit dem Gasstrumpf und holte dann aus ihrer Tasche erst ein altes Kleid und danach ein Näpfchen Gänseschmalz. Damit rieb sie sich die Hände ein; bei je mehr Geburtshilfen aus demselben Napf genommen wird, um so größeres Glück bringt es der Hebamme, und deshalb hat die dieses Schmalz monate-, ja manchmal jahrelang auf ihrem Herdsims oder im Schrank zwischen ihrer schmutzigen Wäsche stehen.
    Dann wurde Madame Haupt von den Frauen zu der Leiter geführt, und Jurgis hörte sie entsetzt ausrufen: »Allmächtiger, wozu haben Sie mich bloß hierhergebracht? Diese Leiter komme ich nie im Leben hinauf und durch die Luke da oben nicht hindurch. Das versuche ich gar nicht erst – dabei könnte ich mir ja das Genick brechen. Wie kann man eine Frau da ihr Kind zur Welt bringen lassen? Auf einem Dachspeicher, der bloß über eine Leiter zu erreichen ist! Sie sollten sich was schämen!« Ihr Schimpfen übertönte fast Onas entsetzliches Stöhnen und Schreien.
    Schließlich gelang es Aniele, sie zu beschwichtigen, und so machte sich Madame Haupt dann an den Aufstieg. Doch mußte sie erst noch einmal angehalten werden, damit Aniele sie warnen konnte, dort oben vorsichtig zu sein, weil es keinen richtigen Fußboden gebe. Auf die eine Seite hätten sie, damit die Familie da überhaupt wohnen kann, alte Bretter gelegt, und dort wär alles gut und sicher; auf der anderen Seite der Mansarde aber seien nur die Balken mit dazwischen dem Putz von der Decke darunter, und wenn man da rauftritt, gebe es ein Unglück. Da es oben halb dunkel ist, gehe vielleicht besser jemand mit einer Kerze voraus. Es folgten neue Entrüstungsschreie und Drohungen, und dann sah Jurgis endlich ein Paar Elefantenbeine durch die Bodenklappe verschwinden und spürte das Haus unter den Schritten von Madame Haupt erbeben.
    Plötzlich kam Aniele zu ihm und nahm ihn beim Arm. »Geh du jetzt weg«, sagte sie. »Tu, was ich dir sage – du hast getan, was du konntest, und bist hier nur im Weg. Geh nun und bleib weg.«
    »Aber wo soll ich denn hin?« fragte Jurgis hilflos.
    »Das weiß ich auch nicht. Und wenn du nur auf der Straße auf und ab gehst, aber verschwinde hier! Und komm nicht vor morgen früh wieder!«
    Schließlich schoben Aniele und Marija ihn hinaus und machten die Haustür hinter ihm zu. Die Sonne ging schon unter, und es wurde kalt – der Regen war in Schnee übergegangen, der Matsch gefror. In seinen dünnen Sachen bibbernd, vergrub Jurgis die Hände in den Taschen und ging los. Er hatte seit dem Frühstück im Gefängnis nichts mehr gegessen und fühlte sich schwach und elend. Ein Hoffnungsstrahl durchzuckte ihn, als ihm einfiel, daß nur ein paar Straßen weiter die Kneipe war, wo er früher öfter Abendbrot gegessen hatte. Vielleicht, daß man dort ein Auge zudrückte oder daß er einen Bekannten traf. So schnell er konnte, marschierte er hin.
    »Hallo, Jack«, sagte der Kneipier, als

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