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Der Dschungel

Der Dschungel

Titel: Der Dschungel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Upton Sinclair
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Englisch hatte einen sehr starken deutschen Akzent, doch Jurgis, der sie ohnehin nur mit Mühe verstand, hatte weder Ohr noch Sinn für die unfreiwillige Komik ihrer Aussprache und rief: »Ja, das tut es!«
    »Dann wollen wir mal sehen. Was sind Ihnen meine Dienste denn wert?«
    »Ich ... ich ...« stotterte Jurgis. »Wieviel verlangen Sie?«
    »Fünfundzwanzig Dollar.«
    Jurgis klappte das Kinn herunter. »Soviel kann ich nicht.«
    Die Frau fixierte ihn. »Und wieviel können Sie?«
    »Muß ich gleich zahlen – jetzt hier?«
    »Selbstredend. Das tun alle meine Kunden.«
    »Ich ... ich habe nicht viel«, setzte er voller Angst an. »Ich war im ... äh ... in Schwierigkeiten ... und mein Geld ist alle. Aber ich bezahle Sie, sobald mir’s möglich ist. Ich kann arbeiten ...«
    »Was haben Sie denn für eine Arbeit?«
    »Im Moment keine. Ich muß mir eine neue suchen. Aber ich ...«
    »Wieviel haben Sie bei sich?«
    Er wagte es kaum auszusprechen. »Eineinviertel Dollar.«
    Sie lachte ihm ins Gesicht. »Dafür tät ich nicht einmal meine Haube aufsetzen.«
    »Es ist alles, was ich besitze«, flehte er mit brechender Stimme. »Ich muß wen haben – meine Frau stirbt sonst. Ich kann doch nicht dafür ... Ich ...«
    Madame Haupt hatte ihr Schweinefleisch mit den Zwiebeln wieder aufs Feuer geschoben. Sie drehte sich zu Jurgis herum und antwortete aus dem Dunst und Gebrutzel heraus: »Zehn Dollar auf die Hand, und ich bin einverstanden, daß Sie mir den Rest nächsten Monat bringen.«
    »Das kann ich nicht – ich habe keine zehn Dollar, sondern bloß die eineinviertel!«
    Sie wandte sich wieder ihrer Bratpfanne zu. »Glaube ich Ihnen nicht«, erklärte sie. »Das sagen doch alle, weil sie den Preis drücken wollen. Wie kommt es, daß ein so großer, starker Mann wie Sie nur eineinviertel Dollar hat?«
    »Ich bin grade erst aus dem Gefängnis gekommen«, sagte Jurgis – er war bereit, vor dieser Frau auf die Knie zu fallen. »Und ich hatte schon vorher kein Geld mehr. Meine Familie ist fast verhungert.«
    »Aber ihr habt doch sicher gute Freunde, die euch unter die Arme greifen können?«
    »Die sind alle bettelarm«, antwortete er. »Sie haben mir das hier gegeben. Ich habe alles versucht, was ich konnte ...«
    »Besitzt ihr denn nichts, was sich verkaufen läßt?«
    »Nein, ich sag Ihnen doch, wir haben nichts – absolut nichts!« rief er außer sich.
    »Und könnt ihr euch auch nichts borgen? Habt ihr keinen Kredit bei eurem Kaufmann?« Als er den Kopf schüttelte, fuhr sie fort: »Hören Sie, wenn Sie mich bekommen, werden Sie froh sein. Ich werde Ihre Frau und das Baby retten, und hinterher finden Sie das alles andere als teuer. Verlieren Sie sie jetzt aber, wie wird Ihnen dann zumute sein? Und vor Ihnen steht eine erstklassige Geburtshelferin. Ich könnte Sie hinschicken zu Leuten hier in der Nachbarschaft, die würden Ihnen bestätigen, daß ...«
    Zur Unterstreichung richtete Madame Haupt ihre Bratengabel auf Jurgis, aber ihre Worte waren mehr, als er ertragen konnte. In verzweifelter Geste warf er die Hände empor. »Es hat keinen Zweck«, sagte er, drehte sich um und ging.
    Er war schon in der Tür, als er hinter sich die Stimme der Frau hörte: »Na gut, fünf Dollar Anzahlung, weil Sie es sind.« Sie kam hinter ihm her und redete auf ihn ein. »Sie werden doch nicht so dumm sein und solch ein Angebot ausschlagen? Eine, die es für weniger macht, die an einem Regentag wie heute mitgeht, finden Sie nirgends. Für so billig habe ich mein Lebtag noch nicht gearbeitet. Da bekäme ich ja nicht einmal die Miete für mein Zimmer zusammen ...«
    Jurgis unterbrach sie mit einem wütenden Fluch. »Wenn ich’s aber nicht habe«, brüllte er, »wie soll ich’s dann bezahlen? Verdammt noch mal, ich würde ja, wenn ich könnte, aber ich sag Ihnen doch, ich hab’s nicht! Ich habe es nicht!«
    Er drehte sich um, ging zur Tür hinaus und war schon halb die Treppe hinunter, ehe Madame Haupt ihm nachrufen konnte: »Warten Sie, ich gehe ja mit! Kommen Sie wieder herauf!«
    Er ging in ihr Zimmer zurück.
    »Man soll niemanden leiden lassen«, sagte sie in wehmutsvollem Ton. »Bei dem, was Sie mir anbieten, könnte ich zwar ebensogut für umsonst mitgehen, aber ich will Ihnen helfen. Wie weit ist es denn?«
    »Drei, vier Straßen.«
    »So weit? Da werde ich ja ganz naß! Unter den Umständen sollte weiß Gott mehr herausspringen. Eineinviertel Dollar, und bei dem Wetter! Aber damit wir uns richtig verstehen: Die restlichen

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