Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Dschungel

Der Dschungel

Titel: Der Dschungel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Upton Sinclair
Vom Netzwerk:
krachten riesige Hämmer nieder; hoch oben ächzten und stöhnten Laufkräne, griffen mit eisernen Händen nach unten und packten eiserne Beute, – es war, als stände man im Mittelpunkt der Erde, wo sich das Räderwerk der Ewigkeit dreht.
    Schließlich gelangten die beiden Männer dorthin, wo Eisenbahnschienen gefertigt wurden. Jurgis hörte hinter sich etwas tuten und konnte gerade noch einem Wagen aus dem Weg springen, der eine weißglühende Bramme heranfuhr, einen mannsgroßen Stahlblock von rechteckigem Querschnitt. Mit plötzlichem Krachen kam der Wagen zum Stehen, und die Bramme glitt hinüber auf eine bewegliche Plattform, wo stählerne Finger und Arme sie packten, in Position rückten und geschwind in den Griff mächtiger Walzen schoben. Kaum auf deren anderer Seite wieder herausgekommen, wurde sie mit einem Schwung herumgeschleudert wie ein Eierkuchen in der Pfanne, wobei es abermals krachte und knirschte, und dann erneut gepackt und durch ein weiteres Walzenpaar hindurch wieder zurückgeschoben. So donnerte sie unter ohrenbetäubendem Lärm hin und her und wurde dabei immer dünner, flacher und länger. Sie wirkte beinahe wie ein Lebewesen; sie wollte diesen Irrsinnsweg nicht nehmen, befand sich aber in den Klauen des Schicksals und wurde weitergerissen, so sehr sie auch kreischend, rasselnd und zitternd protestierte. Allmählich wurde sie rank und schlank, eine große rote Schlange, dem Fegefeuer entschlüpft; und jetzt hätte man schwören können, sie sei lebendig – wie sie sich windend und krümmend durch die Walzen glitt, wie so heftige Zuckungen und Schauder sie bis zum Schwanzende durchliefen, daß dieses fast davongeschleudert wurde. Es gab für sie keine Ruhe, bevor sie nicht kalt und schwarz war – und dann brauchte sie bloß noch durchgeschnitten und ausgegradet zu werden, und fertig war die Eisenbahnschiene.
    Am Ende dieses Produktionsweges bekam Jurgis seine Chance. Die Schienen mußten per Hand mit Hebebäumen weitergerückt werden, und der Vorarbeiter hier konnte noch einen Mann gebrauchen. Jurgis legte seinen Mantel ab und fing gleich an.
     
    Der Weg zur Arbeit hätte ihn täglich zwei Stunden und wöchentlich einen Dollar und zwanzig Cent Fahrgeld gekostet. Das ging natürlich nicht, und so rollte er sein Bettzeug zusammen und nahm es mit; durch Vermittlung eines Kollegen kam er in einem polnischen Logierhaus unter, wo er für zehn Cent die Nacht auf dem Fußboden schlafen durfte. Essen tat er an den Freibüfetts der Kneipen, und jeden Samstag fuhr er nach Hause, mitsamt Bettzeug und allem, und brachte den Großteil seines Lohnes der Familie. Elzbieta war über diese Regelung nicht eben glücklich. Sie befürchtete, er könne sich daran gewöhnen, ohne sie zu leben; und daß er sein Kind nur einmal in der Woche sieht, sei auch nicht gut, aber es lasse sich nun mal nicht anders einrichten. Für Frauen bestanden in den Stahlwerken keine Möglichkeiten, und Marija war wieder arbeitsfähig und hoffte von Tag zu Tag, eine Stelle in den Yards zu bekommen.
    Innerhalb einer Woche verlor Jurgis das Gefühl der Hilflosigkeit und des Verlorenseins in dem Schienenwalzwerk. Er lernte, sich zurechtzufinden, all die Wunder und Schrecken einfach hinzunehmen und zu arbeiten, ohne auf das Rumpeln und Krachen zu achten. Seine blinde Angst schlug um ins andere Extrem: Er wurde so leichtsinnig und gleichgültig wie die anderen hier, die sich im Eifer des Gefechts nur wenig vorsahen. Wenn man einmal darüber nachdachte, war es eigentlich ein Wunder, daß diese Männer sich so ins Zeug legten, wovon sie doch gar nichts hatten – sie wurden nach Stunden bezahlt und bekamen für ihr Interesse und ihren Eifer keinen einzigen Cent mehr. Zudem wußten sie, daß sie bei einem Unfall beiseite geworfen und vergessen würden, und dennoch kürzten sie auf gefährliche Weise ihre Wegstrecken ab und wandten Arbeitsweisen an, die schneller und effektiver, allerdings auch riskanter waren. An seinem vierten Tag dort sah Jurgis, wie einem Mann, der vor einem Wagen herlief und dabei stolperte, der Fuß abgequetscht wurde, und ehe er drei Wochen da war, wurde er Zeuge eines noch schrecklicheren Unfalls. Es gab eine Reihe gemauerter Schmelzöfen, bei denen der geschmolzene Stahl durch jede Ziegelritze weiß herausleuchtete. Ein paar davon waren schon bedrohlich ausgebaucht, und trotzdem arbeiteten Männer direkt davor; beim Öffnen und Schließen der Türen trugen sie blaue Schutzbrillen. Eines Morgens, als Jurgis gerade

Weitere Kostenlose Bücher