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Der Dschungel

Der Dschungel

Titel: Der Dschungel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Upton Sinclair
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hindurchwaten, um zur Vortreppe zu kommen, und wenn es schon dunkel war, konnte es leicht passieren, daß er bis zur Hüfte im Schlamm steckenblieb. Aber das machte ihm nicht viel aus – es war ja das Zeichen, daß der Sommer nahte. Marija hatte inzwischen in einer der kleineren Konservenfabriken eine Stelle als Fleischzurichterin bekommen, und er sagte sich, er habe nun seine Lektion weg und wolle sich hinfort in keinen Unfall mehr verwickeln lassen – so daß doch noch Aussicht bestehe auf ein Ende ihrer langen Leidenszeit. Sie könnten wieder Geld sparen, und wenn der nächste Winter kommt, würden sie eine vernünftige Wohnung haben; die Kinder könnten zurück in die Schule, wären dann von der Straße und würden sich wieder an Anstand und Freundlichkeit gewöhnen. So begann Jurgis abermals Pläne zu schmieden und Träume zu hegen.
    Und eines Samstags dann sprang er, ungeduldig, nach Hause zu kommen, an der Haltestelle von der Straßenbahn. Die Abendsonne schien schräg unter einer Wolkenbank hervor, aus der Wasserfluten auf die schlammdurchweichte Straße niedergegangen waren. Am Himmel wölbte sich ein Regenbogen, und ein zweiter spannte sich in der Brust von Jurgis – denn er hatte sechsunddreißig Stunden Ruhe vor sich und konnte mit seiner Familie Zusammensein. Doch als das Haus in Sicht kam, sah er vor der Tür einen Menschenauflauf. Er rannte die Vorstufen hinauf, drängte sich durch die Menge und stieß in Anieles Küche auf lauter aufgeregte Frauen. Das erinnerte ihn so lebhaft an seine Heimkehr aus dem Gefängnis, als er Ona im Sterben vorgefunden hatte, daß ihm das Herz stockte.
    »Was ist passiert?« rief er.
    Es wurde totenstill im Raum, und er sah, daß alle ihn anstarrten. »Was ist passiert?« rief er noch einmal.
    Dann hörte er oben auf dem Dachboden Wehklagen – die Stimme gehörte Marija. Er wollte zur Leiter, doch Aniele packte ihn beim Arm. »Nein, nein«, rief sie, »geh nicht dort rauf!«
    »Was ist?« schrie er.
    Und Aniele antwortete tonlos: »Antanas ist tot. Ist draußen auf der Straße ertrunken.«

22
    Jurgis nahm die Nachricht sonderbar auf. Er wurde zwar kreidebleich, doch er riß sich zusammen und blieb, die Fäuste geballt und die Zähne zusammengebissen, eine halbe Minute in der Mitte der Küche stehen. Dann schob er Aniele beiseite, ging mit schweren Schritten nach nebenan und stieg die Leiter hinauf.
    In der einen Ecke war eine Decke ausgebreitet, unter der sich undeutlich ein Körper abzeichnete, und daneben lag Elzbieta; ob stumm weinend oder ohnmächtig, konnte Jurgis nicht erkennen. Marija lief heulend und händeringend auf und ab.
    Er ballte die Fäuste noch fester, und seine Stimme war hart, als er fragte: »Wie ist das passiert?«
    Marija hörte ihn kaum in ihrem Schmerz. Er wiederholte die Frage, lauter und noch schroffer. »Er ist vom Gehsteig runtergefallen!« schluchzte sie. Der Gehsteig vorm Haus bestand aus halbverfaulten Brettern, die gut anderthalb Meter über der versunkenen Straße eine Art Plattform bildeten.
    »Wieso war er draußen?« fragte Jurgis.
    »Er ... er wollte spielen gehen«, berichtete Marija mit brechender Stimme. »Wir konnten ihn einfach nicht halten. Er muß im Schlamm steckengeblieben sein!«
    »Steht es denn fest, daß er tot ist?«
    »Ai! Ai!« jammerte sie. »Ja, wir hatten den Arzt hier.«
    Jurgis stand ein paar Sekunden unschlüssig da. Er vergoß keine Träne. Er warf noch einen Blick auf die Decke mit der kleinen Gestalt darunter, wandte sich dann plötzlich zur Leiter und stieg hinunter. Als er in die Küche kam, wurde es dort wieder totenstill. Er schritt geradewegs zur Tür, trat hinaus und ging die Straße hinunter.
     
    Beim Tod seiner Frau hatte Jurgis die nächste Kneipe aufgesucht, aber jetzt tat er nichts dergleichen, obwohl ein ganzer Wochenlohn in seiner Tasche klimperte. Er lief immer weiter, ohne auf etwas zu achten, stapfte durch Schlamm und Wasser. Nach einer Weile setzte er sich auf die Stufen einer Haustreppe, vergrub das Gesicht in den Händen und verharrte so eine halbe Stunde lang reglos, flüsterte nur ab und zu vor sich hin: »Tot! Tot!«
    Schließlich stand er auf und wanderte wieder weiter. Die Sonne ging gerade unter; er lief und lief, bis es dunkel war und er schließlich an einem Bahnübergang haltmachen mußte. Die Schranken waren geschlossen, und ein langer Güterzug ratterte vorüber. Als Jurgis da so stand und zusah, packte ihn auf einmal ein unbändiger Drang – ein wilder Gedanke, der schon

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