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Der Dschungel

Der Dschungel

Titel: Der Dschungel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Upton Sinclair
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vorbeiging, barst einer dieser Öfen und besprühte zwei Arbeiter mit einem Schauer flüssiger Glut. Als sie sich vor Schmerzen schreiend auf dem Boden wälzten, stürzte Jurgis ihnen zu Hilfe und büßte dabei fast die ganze Haut seiner einen Handfläche ein. Der Betriebsarzt verband ihn, aber gedankt wurde ihm von niemandem; er war acht Tage arbeitsunfähig, für die er keinen Lohn erhielt.
    Zum Glück hatte es gerade mit der lang erhofften Putzstelle für Elzbieta geklappt, die nun morgens um fünf in einer Fleischfabrik beim Schrubben der Bürofußböden mithelfen durfte. Jurgis kam nach Hause, hüllte sich in Decken, um sich warm zu halten, und schlief entweder oder spielte mit dem kleinen Antanas. Juozapas war die meiste Zeit draußen beim Stöbern auf der Müllkippe, und Elzbieta und Marija suchten nach weiterer Arbeit.
    Antanas war jetzt über eineinhalb Jahre alt und die reinste Sprechmaschine. Er lernte so rasch, daß es seinem Vater jedesmal, wenn er ihn nach einer Woche wiedersah, vorkam, als habe er ein neues Kind. Jurgis setzte sich dann hin, hörte ihm zu, bestaunte ihn und rief entzückt: »Palauk! Muma! Tu mano szirdele!« Der Kleine war die einzige Jurgis noch auf der Welt gebliebene Freude – seine einzige Hoffnung, sein einziger Erfolg. Gottlob, daß Antanas ein Junge war! Er war zäh wie ein Kieferknorren und hatte einen Appetit wie ein Wolf. Nichts hatte ihm bisher geschadet, und nichts konnte ihm schaden; all die Leiden und Entbehrungen hatte er ohne Folgen überstanden – seine Stimme war nur um so lauter, sein Lebenswille um so entschiedener geworden. Er ließ sich kaum bändigen, der kleine Racker, aber seinen Vater störte das nicht; er beobachtete ihn und lächelte vor sich hin: Je mehr er sich zum Draufgänger entwickelte, um so besser würde er sich später durchsetzen können.
    Jurgis hatte sich angewöhnt, wenn er einigermaßen bei Kasse war, ein Sonntagsblatt zu kaufen; für fünf Cent war eine wundervolle Zeitung zu haben, ein ganzer Armvoll Papier, mit Nachrichten aus aller Welt in großen Schlagzeilen, so daß Jurgis sie langsam buchstabieren konnte, wenn ihm bei den schwierigen Wörtern die Kinder halfen. Da wurde von Schlachten berichtet, von Morden und plötzlichen Todesfällen – einfach phantastisch, wie die diese vielen unterhaltsamen und aufregenden Ereignisse immer gleich in Erfahrung brachten; die Geschichten beruhten sicher alle auf Wahrheit, denn ausdenken konnte sich so etwas doch niemand, und außerdem waren ja überall ganz lebensechte Bilder dabei. Solch eine Zeitung bot so viel wie ein Zirkusbesuch, war beinah so schön wie eine Sauftour; jedenfalls bildete sie einen Hochgenuß für einen Arbeiter, der abgespannt und abgestumpft war, der nie die Möglichkeit gehabt hatte, sich Bildung zu erwerben, der von morgens bis abends in einer tristen Tretmühle schuftete, jahraus, jahrein, ohne daß er jemals eine grüne Wiese zu sehen bekam oder sich eine Stunde Vergnügen leisten konnte und zur Anregung seiner Phantasie nur den Alkohol hatte. Unter anderem enthielten diese Zeitungen ganze Seiten mit lustigen Geschichten, die aus lauter kleinen Zeichnungen bestanden, also regelrechte Bilderbogen abgaben, und die waren für Antanas die größte Wonne seines Lebens. Er sammelte sie, schleppte sie dann herbei und gab nicht eher Ruhe, bis sein Vater sie ihm erklärte; es kamen alle möglichen Tiere darin vor, und Antanas konnte, während er stundenlang auf dem Fußboden lag und mit seinen kleinen Wurstfingern auf sie zeigte, sie sämtlich mit Namen nennen. War eine Geschichte einfach genug daß Jurgis sie verstand, verlangte Antanas, daß er sie ihm wiederhole, und dann behielt er sie und plapperte lustige kleine Sätze daraus nach, die er auf umwerfend komische Weise mit welchen aus anderen Geschichten vermischte. Auch seine Aussprache war einfach zu drollig – und was er alles für Redensarten aufschnappte und sich merkte, die seltsamsten und unmöglichsten Sachen! Als der kleine Schlingel das erste Mal mit »Verdammt noch mal!« herausplatzte, fiel sein Vater vor Lachen fast vom Stuhl; aber bald fand er das gar nicht mehr lustig, denn Antanas hängte nun an alles und jedes ein »Verdammt noch mal!« an.
     
    Als Jurgis seine Hand wieder gebrauchen konnte, nahm er sein Bettzeug und ging zurück zum Schienenheben. Es war jetzt April; der Schnee war kalten Regengüssen gewichen, und die ungepflasterte Straße vor Anieles Haus wurde zu einer regelrechten Gracht. Jurgis mußte

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