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Der Dschungel

Der Dschungel

Titel: Der Dschungel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Upton Sinclair
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Aspekt, ob sie sich etwa auf seine Zukunft mit Ona auswirken könnten.
    Wenn es nach ihnen beiden gegangen wäre, hätten sie sofort geheiratet. Doch das hätte bedeutet, auf jegliche Hochzeitsfeier zu verzichten, und als sie das vorschlugen, stießen sie bei den Alten auf entschiedenen Widerstand. Besonders Teta Elzbieta empfand allein schon den Gedanken als Zumutung. »Was denn«, rief sie aus, »am Straßenrand Hochzeit halten wie ein Bettlerpaar? Nein und nochmals nein!« Sie stammte aus einer Familie mit Herkommen; als junges Mädchen hatte sie etwas vorgestellt – hatte auf einem großen Gut gelebt und Dienstboten gehabt; sie hätte eine gute Partie machen und eine feine Dame werden können; wären sie daheim nicht neun Töchter gewesen. Aber sie wußte auch so, was sich schickte, und klammerte sich verzweifelt an die alten Formen. Auch wenn sie jetzt bloß Hilfsarbeiter in Packingtown seien, erklärte sie, wollen sie sich doch nicht allen Ansehens begeben; und daß Ona auch nur davon gesprochen hatte, die Veselija wegzulassen, reichte aus, ihrer Stiefmutter schlaflose Nächte zu bereiten. Vergebens wiesen Jurgis und Ona darauf hin, daß sie hier ja noch kaum Freunde hätten. Mit der Zeit gewännen sie schon welche, erwiderte Teta Elzbieta, und die würden dann darüber reden. Um des bißchen Geldes willen dürfe man doch nicht aufgeben, was sich gehört – so gespartes Geld bringe ganz gewiß keinen Segen. Und Teta Elzbieta wandte sich um Unterstützung an Dede Antanas; in den beiden nagte die Furcht, diese Übersiedlung in ein neues Land könnte die altheimatlichen Tugenden ihrer Kinder untergraben. An ihrem ersten Sonntag hier waren sie alle zur Messe gegangen, und trotz ihrer kargen Mittel hatte Elzbieta es für angebracht gehalten, eine buntbemalte Gipsplastik der Geburt Christi zu Bethlehem zu erstehen. Sie war nur zwei Handbreit hoch, hatte aber einen Schrein mit vier schneeweißen Türmchen, und in der Mitte stand Maria mit dem Jesusknäblein auf den Armen, vor dem sich die Heiligen Drei Könige und die Hirten verneigten. Elzbieta mußte dafür zwar einen halben Dollar hinlegen, doch sie meinte, bei Geld für solche Dinge dürfe man nicht zu kleinlich sein, denn es komme auf verborgene Weise wieder zurück. Das Stück nahm sich auf dem Sims im Wohnzimmer wunderhübsch aus, und zu einem richtigen Heim gehört nun mal auch was fürs Auge.
    Die Kosten für die Hochzeitsfeier würden natürlich wieder einkommen, nur mußten sie sie zunächst einmal auslegen. Da sie erst so kurze Zeit hier wohnten, ließ sich noch kein Geschäftsmann auf größeres Anschreiben ein, und Barbeträge, selbst kleinere, wer – außer vielleicht Szedvilas – könnte ihnen die schon borgen? Abend für Abend saßen Jurgis und Ona und rechneten aus, wie teuer alles kommen würde und wie lange sie noch warten müßten. Um eine halbwegs anständige Veselija auszurichten, brauchte man mindestens zweihundert Dollar, und wenn auch Marija und Jonas angeboten hatten, ihren gesamten Verdienst vorzuschießen, bestand kaum Aussicht, diese Summe in weniger als vier, fünf Monaten zusammenzubringen. So trug sich Ona mit dem Gedanken, sich ebenfalls Arbeit zu suchen; bei auch nur einigem Glück, sagte sie, könne sie dadurch die Wartezeit um die Hälfte verkürzen. Sie machten sich gerade mit dieser Notwendigkeit vertraut, als ein unerwarteter Schlag kam, der sie wie ein Blitz aus heiterem Himmel traf und ihre Hoffnungen in alle Winde zerstreute.
    Hinter der nächsten Querstraße lebte eine weitere litauische Familie, bestehend aus einer schon sehr betagten Witwe mit ihrem ebenfalls nicht mehr jungen Sohn, und unsere Freunde knüpften mit den beiden bald eine Bekanntschaft an. Eines Abends kamen Mutter und Sohn zu Besuch herüber, und natürlich war das erste Gesprächsthema die Gegend hier und wie sie sich entwickelt hatte. Darüber wußte Großmutter Majauszkiene, wie die alte Frau von allen genannt wurde, endlose Greuelgeschichten zu erzählen, die ihnen das Blut in den Adern erstarren ließen. Sie war eine verschrumpelte und vertrocknete Greisin, sicher schon an die achtzig, und während sie mit ihrem zahnlosen Mund eine grausige Mär nach der andern mummelte, kam sie ihnen vor wie eine uralte Hexe. Großmutter Majauszkiene lebte schon so lange inmitten von Elend und Unglück, daß die ihr zum Element geworden waren und sie von Hunger, Krankheit und Tod so erzählte wie andere Leute von Hochzeiten und sonstigen Feiern.
    Es kam eins zum

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