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Der Dschungel

Der Dschungel

Titel: Der Dschungel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Upton Sinclair
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dann für ihn sorgen würde, wenn er niemals Arbeit bekam, aber sein Sohn konnte nicht umhin, sich zu fragen, was wohl andernfalls mit ihm würde. Der alte Antanas war mittlerweile bereits in jeder Fabrik, ja beinahe in jedem Arbeitsraum von Packingtown gewesen; er stand schon so lange jeden Morgen in der Schlange der Bewerber, daß sogar die Polizisten sein Gesicht kannten und ihm sagten, er solle lieber aufgeben und nach Hause gehen. Ebenso war er in sämtlichen Geschäften und Kneipen im Umkreis von einer Meile gewesen und um irgendeine kleine Arbeit vorstellig geworden, aber überall hatte man ihn abgewiesen, manchmal mit Schimpfworten und ohne ihn auch nur anzuhören.
    So entstand in dem schönen Gefüge von Jurgis’ Glauben an die bestehende Ordnung dann doch ein Sprung – und der wurde noch klaffender, als sein Vater schließlich Arbeit fand. Eines Abends kam der Alte ganz aufgeregt heim und erzählte, er sei in der Pökelabteilung von Durham auf dem Flur von einem Mann angesprochen worden, was er denn für einen Arbeitsplatz zahlen würde. Er hätte sich zuerst keinen Vers darauf zu machen gewußt, aber dann habe der andere ganz unverhohlen erklärt, er könne ihm eine Stelle besorgen – gegen Abtretung von einem Drittel seines Lohns. Auf seine Frage, ob er ein Aufseher sei, habe der Mann geantwortet, das gehe niemanden was an, doch könne er sich auf ihn verlassen.
    Jurgis hatte zu der Zeit schon ein paar Bekanntschaften gemacht, und er ging zu einem von ihnen und fragte, was er davon halte. Dieser Mann, ein gewisser Tamoszius Kuszleika, war ein kleiner Bursche mit hellem Kopf, der am Schlachtband Häute zusammenrollte, und als er Jurgis’ Geschichte hörte, zeigte er sich nicht im geringsten erstaunt. So etwas gebe es hier oft, sagte er. Es handle sich einfach um einen Aufseher oder Vorarbeiter, der sein Einkommen ein bißchen aufbessern will. Wenn Jurgis erst mal länger hier sei, werde er sehen, daß in den Fabriken überall geschmiert und bestochen wird: Die Aufseher kassieren von den Arbeitern sowie einer vom andern; irgendwann komme der Abteilungsleiter dahinter, und dann kassiere er wiederum von den Aufsehern. Tamoszius erwärmte sich für das Thema und erläuterte die Verhältnisse noch näher. Da sei zum Beispiel Durham. Das ganze Werk gehöre einem Mann, der damit soviel Geld zu machen sucht, wie er nur kann, ohne irgendwelche Rücksicht auf das Wie. Unter ihm ständen, ganz so wie beim Militär nach Rang und Dienstgrad gestaffelt, Direktoren, Abteilungsleiter, Meister beziehungsweise Aufseher und Vorarbeiter, und jeder davon treibe den nächsten unter ihm an, um so viel Arbeit aus ihm herauszuschinden wie nur möglich. Und alle gleichen Ranges würden gegeneinander ausgespielt; über ihre Leistungen werde einzeln Buch geführt, und jeder lebe in ständiger Furcht, seine Stellung zu verlieren, wenn ein anderer mehr bringt als er. Folglich brodle es in der ganzen Fabrik nur so vor Eifersüchteleien, Neid und Haß; Rücksichtnahme und Kollegialität seien unbekannt, nirgendwo hier zähle der Mensch mehr als der Dollar. Und noch schlimmer – es gebe nicht mal Ehrlichkeit. Woher das alles komme? Wer weiß, vermutlich noch von dem alten Durham, der als kleiner Krämer angefangen hatte: eine Erbschaft, die er mitsamt den Millionen seinem Sohn hinterlassen habe.
    Mit der Zeit werde Jurgis schon noch selber hinter diese Dinge kommen. Da die krummen und faulen Sachen ja alle von den Arbeitern gemacht werden müssen, könne man denen nichts vortäuschen; sie sähen, welcher Geist hier herrscht, und machten sich den selber zu eigen. Jurgis habe hier angefangen mit der Vorstellung, wenn er gute Arbeit leistet, könne er vorwärtskommen und mal Facharbeiter werden, aber er werde bald erkennen, daß da gar nicht dran zu denken ist – durch gute Arbeit komme in Packingtown niemand vorwärts. Es lasse sich durchaus als Regel aufstellen: Begegnet man in Packingtown jemandem, der aufgestiegen ist, hat man einen Hundsfott vor sich. Jener Mann, der vom Aufseher zu Jurgis’ Vater geschickt worden ist, der werde aufsteigen; auch wer klatscht und seine Kollegen bespitzelt, habe Chancen, aber wer sich nur um seine eigenen Angelegenheiten kümmert und seine Arbeit tut – nun, dem werde so lange »Tempo vorgelegt«, bis seine Kraft verbraucht ist, und dann werfe man ihn zum alten Eisen.
    Jurgis schwirrte auf dem Heimweg der Kopf. Dennoch vermochte er sich nicht dazu zu bringen, das alles zu glauben – nein, es

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