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Der Dschungel

Der Dschungel

Titel: Der Dschungel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Upton Sinclair
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konnte einfach nicht wahr sein! Tamoszius war sicher bloß einer von den ewig Unzufriedenen. Er brachte seine Zeit mit Geigespielen hin, ging abends zu Feiern und kam nicht vor Sonnenaufgang heim, und natürlich schmeckte ihm dann die Arbeit wenig; außerdem war er bloß eine halbe Portion und konnte deshalb nur schwer mithalten – daher seine Verbitterung. Und doch fielen Jurgis selbst immer wieder seltsame Dinge auf, die neue Zweifel in ihm erweckten.
    Er suchte seinen Vater zu überreden, sich nicht auf das Angebot einzulassen. Aber der alte Antanas bettelte nun schon so lange um Arbeit, daß er ganz mürbe und mutlos geworden war; er wollte eine Stelle haben – um jeden Preis. Und so ging er am nächsten Morgen zu dem Mann, versprach ihm, ein Drittel seines gesamten Verdienstes an ihn abzuführen, und konnte noch am selben Tag in den Kellern von Durham anfangen. Sein Arbeitsplatz war ein Pökelraum, wo es niemals eine trockene Stelle zum Stehen gab, und so mußte er fast seinen ganzen ersten Wochenlohn dazu nehmen, sich ein Paar Stiefel mit dicken Sohlen zu kaufen. Er war »Schwabbermann« und hatte die Aufgabe, mit einem langstieligen Schrubber herumzugehen und das Naß auf dem Boden in Abflußlöcher zu schieben. Abgesehen von der Feuchtigkeit und Dunkelheit war das, jedenfalls im Sommer, keine unangenehme Arbeit.
    Anatanas Rudkus war nun wirklich der bescheidenste und unaufsässigste Mensch unter Gottes Sonne, und so fand Jurgis das, was alle sagten, dadurch bestätigt, daß sein Vater schon nach zwei Tagen Arbeit genauso verbittert heimkam wie die anderen und Durham aus tiefster Seele verfluchte. Man hatte ihn nämlich das Abflußsieb säubern lassen, und die im Kreis um ihn sitzende Familie hörte sich kopfschüttelnd an, was darunter zu verstehen war. Seinem Bericht nach arbeitete er anscheinend in dem Raum, wo das Rindfleisch zum Einkonservieren präpariert wurde. Nachdem es einige Zeit in Bottichen voller Chemikalien gelegen hatte, spießten Männer mit großen Forken es dort heraus und warfen es auf Karren zum Transport in die Kocherei. Hatten sie alles, was sie erreichen konnten, herausgefischt, kippten sie den Bottich auf den Boden aus, kratzten dann mit Schaufeln die Reste zusammen und taten diese Schabsei ebenfalls auf den Karren. Obwohl der Fußboden mehr als schmutzig war, ließ man Antanas die Lake mit seinem Schrubber in einen Abfluß schwabbern, der zu einem Becken führte, wo sie aufgefangen wurde, um immer wieder neu verwendet zu werden. Als wäre das noch nicht genug, gab es in dem Rohr eine Auffangvorrichtung, die auch die letzten Fleischrestchen festhielt – und ebenso allen Kehrricht –, und jeden zweiten Tag mußte der alte Mann dieses Sieb reinigen und seinen Inhalt zu dem anderen Fleisch auf einen Karren schippen!
    Das waren die Erfahrungen von Antanas, und bald wußten auch Marija und Jonas einiges zu erzählen. Marija arbeitete in einer der selbständigen Konservenfabriken und war außer sich vor Freude über das schöne Geld, das sie dort als Büchsenlackiererin verdiente. Eines Tages aber ging sie mit der blassen kleinen Kollegin, die ihr gegenüber arbeitete und Jadvyga Marcinkus hieß, zusammen nach Hause und erfuhr von ihr, wie sie, Marija, zu ihrer Stelle gekommen war: Sie habe den Platz einer Irin erhalten, die schon so lange in der Fabrik gewesen war, wie sich nur jemand erinnern kann, fünfzehn Jahre oder noch mehr. Diese Mary Dennis sei vor ewiger Zeit verführt worden und habe ein uneheliches Kind; der Junge wär zwar ein Krüppel und leide an Fallsucht, aber er sei das einzige, was sie in der Welt zum Liebhaben hat, und sie lebe mit ihm allein in einer Kammer irgendwo hinter der Halsted Street, da, wo die Iren wohnen. Mary habe die Schwindsucht, und den ganzen Tag konnte man sie bei der Arbeit husten hören; in letzter Zeit sei es ganz schlimm gewesen, und als Marija kam, hätte die Aufseherin plötzlich beschlossen, sie zu entlassen. Die Aufseherin müsse ja selber ein bestimmtes Soll erfüllen, erklärte Jadvyga, und könne deshalb keine Rücksicht auf Kranke nehmen. Marys lange Betriebszugehörigkeit sei bei ihr nicht ins Gewicht gefallen – womöglich wußte sie überhaupt nichts davon, denn sowohl sie wie der Abteilungsleiter wären noch verhältnismäßig neu, arbeiteten erst zwei oder drei Jahre hier. Was aus der Armen geworden ist, wisse sie nicht; sie hätte sie mal besuchen wollen, war aber selber nicht richtig auf dem Posten. Sie habe ständig

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