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Der Dschungel

Der Dschungel

Titel: Der Dschungel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Upton Sinclair
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Kreuzschmerzen und fürchte, daß das vom Unterleib kommt; von morgens bis abends mit zehn Pfund schweren Büchsen zu hantieren sei eben keine Arbeit für eine Frau.
    Auffallenderweise verdankte auch Jonas seinen Arbeitsplatz dem Unglück eines anderen. Seine Aufgabe bestand darin, einen Karren mit Schinken von den Räucherkammern zum Aufzug und dann in die Verpackungshalle zu schieben. Die Karren, ganz aus Eisen, waren schwer und wurden jedesmal mit sechzig Schinken beladen, einer Last von fast einer Vierteltonne. Wer nicht gerade ein Herlades war, den kostete es schon mächtig viel Kraft, so einen Karren auf dem unebenen Boden in Bewegung zu bringen, und hatte man das einmal geschafft, suchte man ihn natürlich auf Biegen und Brechen in Fahrt zu halten. Irgendwo strich stets der Aufseher herum, und war man nur um eine Sekunde in Verzug, setzte es gleich ein Donnerwetter; Litauer, Slowaken und sonstige Neueinwanderer, die die Befehle nicht verstanden, wurden nicht selten wie die Hunde mit Fußtritten vorangescheucht. Deshalb rollten diese Karren meist zu schnell, und der Vorgänger von Jonas war von einem gegen die Wand gedrückt und auf unbeschreiblich grausame Weise zerquetscht worden.
    Das alles waren böse Geschichten, aber doch Kleinigkeiten im Vergleich zu dem, was Jurgis bald mit eigenen Augen sah. Schon an seinem ersten Tag als Kuttelkehrer war ihm etwas Merkwürdiges aufgefallen, nämlich wie raffiniert die Bandmeister es vertuschten, wenn sich unter den hereinkommenden Rindern eine hochträchtige Kuh befand. Jeder, der auch nur ein bißchen vom Schlachten versteht, weiß, daß das Fleisch einer Kuh kurz vor und kurz nach dem Kalben für Nahrungszwecke ungeeignet ist. Und von solchen Kühen kamen jeden Tag nicht wenige in die Schlachthallen. Natürlich wäre es für die Firmen ein leichtes gewesen, sie so lange zurückzubehalten, bis sie wieder verwendbar waren, aber das hätte ja Zeit und Futter gekostet, und so ließ man sie stets zusammen mit den anderen durchs Band laufen. Wer eine entdeckte, sagte es dem Meister, und der begann eine Unterhaltung mit dem Fleischbeschauer und ging mit ihm ein Stückchen weg. Inzwischen nahmen die Männer die Kuh blitzschnell aus, und wenn er wiederkam, waren die Innereien verschwunden: Jurgis hatte sie – mitsamt dem Kalb! – in ein Bodenloch schieben müssen. Und in dem Stockwerk darunter wurden diese ungeborenen Kälber herausgenommen und dann wie normales Fleisch verarbeitet; selbst ihre Häute ließ man nicht unverwendet.
    Eines Tages glitt ein Mann aus und verletzte sich das Bein. Als am Nachmittag die letzten Rinder durch waren und Feierabend gemacht wurde, hieß man Jurgis, für eine besondere Arbeit dazubleiben, die sonst dieser Mann verrichtet hatte. Es war spät, schon fast dunkel; die Fleischbeschauer hatten sich bereits auf den Heimweg gemacht, und in der Halle befanden sich nur noch ein, zwei Dutzend Arbeiter. An jenem Tag waren an die viertausend Rinder hereingekommen. Wie immer hatten sich während des langen Hertransports in Viehwagen einige Tiere verletzt. Manche hatten gebrochene Beine, andere blutige, von Hörnern durchbohrte Flanken, und etliche waren unterwegs auch verendet; woran, konnte niemand sagen. Die alle mußten nun noch geschlachtet werden, still und heimlich, versteht sich. Für diese »Abnibbler«, wie die Männer sie nannten, hatte man einen eigenen Aufzug, der sie hier heraufbrachte, wo die Schlachtkolonne sie dann mit einem nüchternen Gleichmut vornahm, der deutlicher als alle Worte verriet, daß es sich für sie um Routinearbeit handelte. Bis alle ab- und ausgeschlachtet waren, dauerte etwa zwei Stunden, und danach sah Jurgis, wie man sie in die Kühlhalle schaffte und sie dort sorgsam zwischen den anderen Rindervierteln verteilte, damit sie nicht herausgekannt werden konnten. Er ging in sehr nachdenklicher Stimmung nach Hause; er war jetzt soweit, sich zu fragen, ob jene, die ihn wegen seines Glaubens an Amerika ausgelacht hatten, nicht vielleicht doch recht hatten.

6
    Jurgis und Ona liebten sich sehr. Sie warteten nun schon so lange, gingen bereits im zweiten Jahr miteinander, und Jurgis beurteilte alles danach, ob es ihre endliche Heirat förderte oder hinderte. Sein ganzes Denken drehte sich um nichts anderes; er nahm die Familie hin, weil es Onas Familie war, und er interessierte sich für das Haus, weil es Onas Heim werden sollte. Selbst die üblen Dinge, die er bei Brown sah, betrachtete er damals eigentlich nur unter dem

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