Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Dschungel

Der Dschungel

Titel: Der Dschungel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Upton Sinclair
Vom Netzwerk:
tatsächlich höher liegen, aber daß dafür auch die Preise höher sind, das fänden die armen Teufel erst heraus, wenn es zu spät ist. Sie säßen rein wie Ratten in der Falle, und jeden Tag strömten mehr von ihnen hinein. Aber einmal würden sie Rache nehmen, denn was man hier mit ihnen macht, übersteige allmählich das, was der Mensch ertragen kann; jawohl, sie würden sich erheben und den Fabrikanten den Garaus machen. Großmutter Majauszkiene war Sozialistin oder so was; einen anderen Sohn von ihr hatte man nach Sibirien verbannt, wo er im Bergbau arbeitete, und die alte Frau hatte zu ihrer Zeit selber Reden gehalten – was sie ihren augenblicklichen Zuhörern nur noch furchtbarer erscheinen ließ.
    Sie brachten sie wieder auf das Haus zurück. Nun ja, fuhr sie fort, die deutsche Familie, das seien ordentliche Leute gewesen, zwar sehr kinderreich – ein in Packingtown weitverbreitetes Übel aber fleißig und solide, und sie hatten das Haus schon bis zur guten Hälfte abbezahlt, doch dann stürzte bei Durham ein Fahrstuhl ab, und der Vater verunglückte dabei tödlich.
    Danach zogen Iren ein, ebenfalls mit vielen Bälgern. Der Mann trank und schlug die Kinder – die Nachbarn konnten sie jeden Abend schreien hören. Die Familie war ständig mit den Raten im Rückstand, aber die Gesellschaft unternahm nichts gegen sie. Da habe irgendwas Politisches hintergesteckt, meinte Großmutter Majauszkiene; was, wisse sie nicht genau, aber die Laffertys hätten der »War Whoop League« angehört, einer Art politischem Ringverein aller Gangster und Ganoven im Viertel; wer da drin ist, der werde niemals für was eingelocht. Einmal war der alte Lafferty mit einer Bande geschnappt worden, die verschiedenen armen Leuten in der Gegend ihre Kühe gestohlen, sie in einem Schuppen hinter den Yards geschlachtet und das Fleisch dann verkauft hatte. Er blieb bloß drei Tage in Haft; als er rauskam, lachte er nur, und er hatte auch seine Stelle in der Fabrik nicht verloren. Doch richtete er sich mit seinem Trinken zugrunde, und da war es auch mit seiner Macht vorbei. Einer seiner Söhne, der anders war, hielt ihn und die Familie ein, zwei Jahre über Wasser, holte sich dann aber die Schwindsucht.
    Da komme bei dem Haus noch hinzu, unterbrach sich Großmutter Majauszkiene – es ruhe Unglück darauf. Von jeder Familie, die darin wohnt, kriege einer mit Sicherheit die Schwindsucht. Woran das liegt, könne niemand sagen; mit manchen Häusern scheine einfach was zu sein. Nach Meinung einiger rühre es daher, daß mit dem Bau bei Neumond begonnen worden ist. In Packingtown gebe es Dutzende solcher Häuser. Mitunter sei es nur ein bestimmtes Zimmer – wer darin schläft, wär schon so gut wie tot. In diesem Haus hier habe es als ersten den Iren erwischt, und danach sei einer böhmischen Familie ein Kind gestorben, allem Anschein nach ebenfalls an der Lunge, obwohl sich bei den in den Yards arbeitenden Kindern natürlich schwer sagen lasse, was ihnen fehlt. Damals sei das Mindestalter für Kinderarbeit noch nicht gesetzlich festgelegt gewesen, und die Fabrikanten hätten jeden genommen, der nicht mehr in der Wiege lag. Bei dieser Zwischenbemerkung schauten ihre Zuhörer verdutzt drein, und Großmutter Majauszkiene mußte abermals etwas erklären: Jugendliche unter sechzehn Jahren zu beschäftigen sei verboten. Was das denn für einen Sinn habe, fragten sie; sie wären am Überlegen, den kleinen Stansislovas arbeiten zu schicken. Ach, da könnten sie unbesorgt sein, beruhigte sie die Alte. Das Verbot sei kein Hinderungsgrund, es zwinge die Eltern lediglich, das Alter ihrer Kinder falsch anzugeben. Sie würde gern mal wissen, was sich die Leute, die so ein Gesetz erlassen, eigentlich dabei denken – es gebe doch Familien, denen, wenn sie nicht verhungern wollen, gar nichts bleibt, als auch ihre Kinder arbeiten zu lassen, und einen anderen Lebensunterhalt schaffe ihnen dieses Gesetz ja nicht! Sehr oft könne hier in Packingtown ein Erwachsener monatelang keine Arbeit bekommen, während ein Kind leicht eine Stelle findet; irgendwo gebe es immer eine neue Maschine, mit der die Fabrikanten die gleiche Leistung aus einem Kind herausholen können wie vorher aus einem Erwachsenen, und das für ein Drittel des Lohns.
    Um auf das Haus zurückzukommen: In der nächsten Familie sei es die Frau gewesen, die gestorben ist. In jedem der fast vier Jahre, da sie hier wohnten, war sie regelmäßig mit Zwillingen niedergekommen, und dabei hatten sie schon

Weitere Kostenlose Bücher